Papst & Teufel - die Archive des Vatikan und das Dritte Reich
läßt sich exemplarisch an einer Episode aus seiner Berliner Nuntiaturzeit zeigen, dem Streit um die Rolle von Katholiken in der ökumenischen Bewegung im Deutschland der zwanziger Jahre.
Reine Lehre oder politischer Opportunismus?
Pacelli und die Ökumene in Deutschland
Gemeinsame Gottesdienste von Katholiken und Protestanten, ökumenische Friedensgebete, eine
Einheitsübersetzung
der Heiligen Schrift oder gar ein Vatikanisches «Ökumene-Ministerium», wie es heutzutage im Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen in Rom existiert, wären in der Zeit Pacellis und Pius’ XI. völlig unvorstellbargewesen. Eine theologische Einigung von Lutheranern und Katholiken in einem der zentralen Streitpunkte der Reformation, der Rechtfertigungslehre, in der es um das rechte Verhältnis von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit bei der Erlösung des Menschen geht, lag ohnehin außerhalb jeder Vorstellungswelt. Protestanten waren in der Sicht der Römischen Kurie nichts anderes als Ketzer, die es zu bekämpfen galt. Evangelische Christen waren schlicht Häretiker, vor denen man Katholiken unbedingt schützen mußte. Jeder Kontakt mit evangelischem Gedankengut und vor allem jede persönliche Begegnung mit Protestanten brachte Katholiken in die Gefahr, sich mit dem «protestantischen Virus» zu infizieren und damit das ewige Seelenheil zu riskieren. Die Römische Inquisition war im Jahr 1542 nicht zuletzt als Koordinationsbehörde zur Abwehr der evangelischen Häresie gegründet worden. Für das römische Lehramt gab es nur eine einzige von Jesus Christus gegründete Kirche: die römisch-katholische Kirche mit dem Papst als ihrem sichtbaren Oberhaupt, der mit Unfehlbarkeit und universalem Jurisdiktionsprimat ausgestattet war.
Ökumene war in römischer Perspektive, wenn überhaupt, nur als Rückkehr-Ökumene vorstellbar, in der Form, daß die Protestanten ihren falschen Weg verließen und auf den rechten Weg des Katholizismus zurückkehrten. Aus dieser Grundeinsicht resultierte unter anderem das tiefe Mißtrauen der Römischen Kurie gegenüber Mischehen von Katholiken und Protestanten in Deutschland. Eigentlich sollten diese nur erlaubt werden, wenn der evangelische Partner vorher zum Katholizismus konvertierte. Jede Form von Ökumene, die die evangelischen Gemeinschaften mit der katholischen Kirche auf einer Ebene sah und von einer Annäherung beziehungsweise Vereinigung gleichberechtigter Partner ausging, wurde von Rom stets abgelehnt. Daher gehörte es zu den Hauptaufgaben des Heiligen Offiziums, derartige ökumenische Bestrebungen weltweit und natürlich vor allem in Deutschland, der Heimat Luthers und der Reformation, genauestens zu beobachten und gegebenenfalls drastische Abwehrmaßnahmen einzuleiten.
Im Sommer 1926 kam der Konsultor des Heiligen Offiziums, Ernesto Ruffini (1888–1967), dieser «heiligen Aufgabe» nach, als er die Kardinäle der obersten Glaubensbehörde auf in seinen Augen gefährlicheökumenische Umtriebe in Deutschland aufmerksam machte. Ihm waren Hefte der Zeitschrift mit dem bezeichnenden Titel
Una Sancta
in die Hände gefallen, die seiner Ansicht nach die «eindeutige Absicht» verfolgten, die «Vereinigung der Katholiken mit den Protestanten zu fördern». Herausgegeben wurde die Zeitschrift vom Hochkirchlich-Ökumenischen Bund, der sich als katholisch – allerdings nicht römisch-katholisch, wie der Gutachter spitz bemerkte – verstand, obwohl die meisten Mitglieder Protestanten waren. Ruffini hielt diese Ökumenische Bewegung für «höchst gefährlich», weil sie der «Reinheit des katholischen Glaubens» Schaden zufüge und wegen der «lieblichen und friedlichen Art» des Werbens für ihre Sache sowie der «usurpierten Bezeichnung ‹katholisch›» leicht in die Gewissen treuer Katholiken eindringen könne. Allen Katholiken und namentlich den katholischen Priestern sollten die Lektüre und vor allem die aktive Mitarbeit als Autoren an dieser Zeitschrift strikt verboten werden.[ 9 ]
Am 28. Juli 1926 beschlossen die Kardinäle des Heiligen Offiziums, der Anregung Ruffinis folgend, den Nuntius in Berlin anzuweisen, einen detaillierten Bericht über die ökumenische Bewegung in Deutschland zu verfassen und die relevanten Publikationen nach Rom zu senden. Dieser Beschluß wurde von Pius XI. am folgenden Tag bestätigt; allerdings wunderte sich der Papst darüber, daß weder Pacelli noch die deutschen Bischöfe ihn bislang auf diese offenbar vorhandene ökumenische Gefahr
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