Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papillon

Papillon

Titel: Papillon
Autoren: Henri Charrière
Vom Netzwerk:
deutlich vor mir. Ich werde es in ein Grinsen verwandeln. Du hast mir etwas voraus: Ich durfte nicht schreien, du darfst es. Schrei, schrei, soviel du willst und so laut du kannst.
    Was soll ich mit dir tun? Dich verhungern lassen nach dem Rezept von Dumas? Nein, das genügt nicht. Ich werde dir zuerst einmal die Augen ausstechen. Ach – du triumphierst noch immer? Du denkst, wenn ich dir die Augen aussteche, brauchst du mich wenigstens nicht mehr anzusehen, und außerdem beraube ich mich selbst des Vergnügens, deine Reaktionen in deinen Pupillen zu lesen. Ja, du hast recht, ich darf sie dir nicht ausstechen, zumindest nicht gleich. Ich werde es mir für später aufheben.
    Ich werde dir die Zunge herausschneiden, diese schreckliche Zunge, die scharf ist wie ein Messer – nein, schärfer als ein Rasiermesser. Die Zunge, die sich für deine ruhmreiche Karriere prostituiert hat. Dieselbe Zunge, mit der du deiner Frau Zärtlichkeiten sagst, deinen Kindern, deiner Geliebten. Du – und eine Geliebte? Nein, wohl eher einen Geliebten. Denn du bist als Mann nichts. Ein träger, genießerischer Schlappschwanz. Der geborene Päderast, Ja, ja, ich muß damit anfangen, dir die Zunge herauszuschneiden, die Vollstreckerin deines Gehirns. Sie, die du so gut zu gebrauchen verstehst, hat die Geschworenen dahin gebracht, alle an sie gestellten Fragen mit ›Ja‹ zu beantworten. Dank deiner Zunge stehen die Polizisten jetzt wie Heilige da, als Opfer ihrer Pflicht. Ihr verdankt es der Zeuge, daß sein Lügennetz gehalten hat. Ihr allein verdanke ich, daß ich den zwölf Arschgesichtern als der gefährlichste Kerl von ganz Paris erscheinen mußte. Wenn du diese Zunge nicht hättest, die so trügerisch, so geschickt, so überzeugend ist und so geübt darin, Menschen, Taten und Dinge zu entstellen, säße ich heute noch auf der Terrasse des Grand Cafe auf der Place Blanche, von wo ich mich nie weggerührt hätte. Ich werde sie dir also herausschneiden, diese Zunge. Aber mit welchem Instrument?«
    Ich gehe und gehe, der Kopf dreht sich mir. Aber ich bin noch immer Gesicht an Gesicht mit ihm… als plötzlich das Licht erlischt und schwaches Tageslicht durch die Ritze der Fensterplanke in meine Zelle sickert. Was, schon Morgen? Ich habe die ganze Nacht mit meinen Rachegedanken zugebracht? Was für schöne Stunden werde ich hier noch verbringen. Diese lange Nacht, wie kurz ist sie gewesen! Ich sitze auf meinem Bett und lausche. Nichts. Völlige Stille. Von Zeit zu Zeit ein »Klick« an meiner Tür. Das ist der Wärter. Er kommt in Pantoffeln an meine Tür, um keinen Lärm zu machen. Er schiebt das winzige Eisentürchen zurück und legt sein Auge an das winzige Loch, das ihm erlaubt, mich zu sehen, ohne daß ich ihn bemerke.
    Die von der französischen Republik erdachte Maschinerie arbeitet in mehreren Etappen. Mich hat sie in der zweiten. Sie funktioniert bewundernswert. In der ersten Etappe hat sie einen Mann in ihr Räderwerk gezogen, der Unannehmlichkeiten hätte bereiten können. Aber das ist nicht genug. Der Mann darf nicht zu rasch sterben, er darf nicht durch einen Selbstmord entwischen. Man braucht ihn noch. Was würde die Verwaltung der Strafanstalt tun, wenn es keine Gefangenen gäbe? Das wäre ja noch schöner! Also überwachen wir ihn. Ins Bagno mit ihm, wo er wieder für andere Funktionäre lebensnotwendig ist. Das Klicken wiederholt sich. Und reizt mich zum Lachen.
    Nur keine Angst, Herr Überflüssig, ich entwische schon nicht. Zumindest nicht auf die Art, die du befürchtest: durch Selbstmord. Ich möchte nur eines: mir das Leben so erträglich wie möglich gestalten und sehr rasch nach Französisch-Guayana kommen. Gott sei Dank seid ihr so dumm, mich dorthin zu schicken. Du alter Gefängniswärter, der du jeden Augenblick das »Klick« des Eisentürchens erzeugst, ich weiß, daß deine Kollegen keine Chorknaben sind. Du bist ein guter Papa unter den Wärtern hier unten, das ist mir längst klar.
    Denn als man Napoleon bei der Gründung des Bagnos fragte: »Und wer soll die Banditen bewachen?«, antwortete er: »Größere Banditen als sie selbst.« Ich bekam noch genügend Gelegenheit, festzustellen, daß er nicht gelogen hat.
    »Klick.« Ein kleines Quadrat von zwanzig mal zwanzig Zentimeter öffnet sich in der Mitte der Tür. Man reicht mir Kaffee und ein dreiviertel Kilo schweres Stück Brot. Ich habe als Verurteilter nicht mehr das Recht, ein Restaurant zu besuchen, aber ich darf, wenn ich bezahle, Zigaretten und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher