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Papillon

Papillon

Titel: Papillon
Autoren: Henri Charrière
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Mut!«
    »Danke«, sage ich.
    Wenige Minuten später macht sich jemand an der Tür zu schaffen. »Was gibt’s?«
    »Nichts«, lautet die Antwort, »ich hänge nur ein Pappschild an.«
    »Was steht drauf?«
    »Lebenslänglich. Streng überwachen.«
    Die sind doch wirklich beklopft. Glauben die am Ende, daß ich Selbstmord begehen will? Ich habe keine Angst. Denen werd ich’s zeigen. Ich werde gegen sie kämpfen, gegen sie alle! Schon morgen fang ich damit an.
    Soll ich Nichtigkeitsbeschwerde erheben? frage ich mich am anderen Morgen, während ich meinen Kaffee trinke. Hätte ich denn vor einem anderen Gericht mehr Chancen? Wieviel Zeit würde ich damit verlieren? Ein Jahr, achtzehn Monate… Wozu? Um zwanzig Jahre zu kriegen statt lebenslänglich?
    Da ich entschlossen bin zu fliehen, zählen solche Sachen nicht mehr. Mir fällt die Frage ein, die einmal ein Verurteilter vor dem Geschworenengericht stellte: »Wie lange dauert lebenslängliche Zwangsarbeit in Frankreich, Herr Vorsitzender?«
    Ich sehe mich in meiner Zelle um. An meine Frau habe ich einen Rohrpostbrief geschickt, um sie zu trösten, einen zweiten an meine Schwester, die Gute, die versucht hat, ihren Bruder zu verteidigen. Sie allein gegen alle.
    Es ist aus, der Vorhang ist gefallen. Die Meinen müssen mehr leiden als ich, und meinem armen Vater wird es da unten in seinem Provinznest genug Mühe kosten, ein so schweres Kreuz zu tragen.
    Aber ich bin doch unschuldig! fahre ich auf. Und sage mir schon im nächsten Moment: Hat keinen Zweck, darauf zu pochen, daß du unschuldig bist, man würde sich nur über dich lustig machen. »Lebenslänglich« für nichts und dann noch behaupten, daß ein anderer die Sache geschaukelt hat. Jämmerlich. Am besten, du hältst den Mund.
    Da ich während der Untersuchungshaft weder in der Sant é noch in der Conciergerie an die Möglichkeit einer derartigen Verurteilung dachte, hatte ich mich nie damit befaßt, was das eigentlich ist, »der Weg in die Hölle«.
    Na schön. Als erstes muß ich einmal trachten, mit solchen Verurteilten Kontakt zu bekommen, die sich als Fluchtkumpane eignen.
    Ich suche mir einen Mann aus Marseille aus, Dega heißt er. Beim Friseur werde ich ihn bestimmt treffen, er läßt sich täglich rasieren. Ich bitte also, zum Friseur gehen zu dürfen. Tatsächlich, Dega steht da und starrt zur Wand, als ich hinkomme. Ich bemerke auch, daß er einen anderen vorläßt, um länger warten zu können.
    Ich schiebe meinen Nachbarn zur Seite und stelle mich direkt neben ihn.
    »Wie geht’s, Dega?« flüstere ich ihm rasch zu. »Es geht, Papillon. Ich habe fünfzehn Jahre, und du? Ich höre, man hat dich kräftig eingesalzen?«
    »Ja, lebenslänglich.«
    »Legst du Nichtigkeitsbeschwerde ein?«
    »Nein, Dega. Jetzt heißt es tüchtig essen und im Training bleiben. Wir werden feste Muskeln brauchen. Hast du Zaster?«
    »Ja. Zwei Tausender in Pfunden. Und du?«
    »Nichts.«
    »Verschaff dir schnell was. Ist dieser Hubert dein Verteidiger? Dieses Arschloch! Er würde dir niemals den Stöpsel übergeben. Schick deine Frau mit dem vollen Stöpsel zu Dante. Man soll es dem reichen Dominique geben, und ich garantiere dir, daß du es kriegst.«
    »Seht, der Posten beobachtet uns.«
    »Also ihr nützt das aus, um zu tratschen?«
    »Oh, nicht so wichtig«, versetzt Dega. »Er sagt, daß er krank ist.«
    »Was fehlt ihm denn? Wachsen ihm die Geschworenen zum Hals heraus?« Das Bierfaß birst vor Lachen.
    So ist es, das Leben, und das ist der Weg in die Hölle, und ich bin schon unterwegs. Man witzelt und lacht sich tot über einen Mann von fünfundzwanzig, der für sein Lebtag versorgt ist.
    Ich habe den »Stöpsel« bekommen. Ein fabelhaft poliertes Aluminiumrohr, das sich in der Mitte aufschrauben läßt. Es enthält fünftausendsechshundert Franc in nagelneuen Scheinen. Ich küsse das daumendicke, sechs Zentimeter lange Ding, ja, ich küsse es, ehe ich es mir in den After schiebe. Dann mache ich einen tiefen Atemzug, damit es in den Darm hinaufsteigt. Das ist jetzt meine Geldkassette. Man kann mich bis auf die Haut nackt ausziehen, mir befehlen, die Beine zu spreizen, zu husten und mich zu bücken – nichts. Niemand merkt, daß ich es habe. Es steigt hoch in den Dickdarm hinauf, wird ein Teil meiner selbst. Es ist mein Leben, meine Freiheit… der Weg zu meiner Rache. Ich denke nur noch an sie.
    Draußen wird es Nacht. Ich bin allein in meiner Zelle. Das starke Licht an der Decke ermöglicht es dem Wärter, mich
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