Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Papilio Mariposa

Papilio Mariposa

Titel: Papilio Mariposa
Autoren: Oswald Levett
Vom Netzwerk:
der
Tragik dieser Lächerlichkeit erwachen, mochte er erkennen,
daß er allein es sei, auf dessen Schutz der Unglückliche
rechnen durfte. Und nun war es rührend,
wie der junge Aristokrat alle Standes- und Rassenvorurteilebeiseite schob, mit welch noblem Eifer dieser
blühend schöne Husarenoffizier für seinen Schützling,
den mißgestalteten Juden, in die Bresche trat, wie bekümmert
er wurde, als er das Vergebliche seiner Bemühungen
und seine eigene Unzulänglichkeit erkannte.
    Das Beweisverfahren wurde geschlossen. Der Ankläger
— von Beruf Richter in Galizien — erhielt das Wort
zum Schlußvortrag. Er hatte leichtes Spiel bei diesem
Stand der Dinge und verfehlte nicht, alle feindseligen
Instinkte der Richter gegen den Staatsfeind, den Feigling,
den häßlichen polnischen Juden aufzurütteln.
    Als der Verteidiger das Wort erhielt, da sprang er
auf, flammend rot vor Verlegenheit und vor Entrüstung,
und brachte nur hervor: »Hohes Gericht, ich
bitt’ um meine Ablösung. Man soll einen tüchtigen
Verteidiger kommandieren. Ich versteh’ nix von solchen
Sachen. Wie kommt denn der Angeklagte dazu,
daß er vielleicht erschossen wird, weil ich ihn
ung’schickt verteidigt hab’? Und wie komm’ ich dazu,
daß ich mir dann mein Leben lang Vorwürfe mach’?
Schließlich, jetzt hammer vier Jahr’ Krieg, sind genug
Menschen g’fallen. Der arme Teufel da ist schon von
Haus aus genug g’straft, vielleicht hat er gar nicht
g’wußt, was er da z’sammredt. Und wer gibt scho’ was
drauf, was so a Jud’ daherred’t. Meinetwegen soll man
ihm Spangen geben. Aber daß man an Menschen
gleich erschießt wegen a paar unbedachte Worte, das
versteh’ ich nicht. Und damit will ich auch nix zu tun
hab’n.« Und er streckte wie abwehrend die Hände von
sich.
    Dieses »Plädoyer«, so unbeholfen es war, nützte seinem
Klienten vielleicht mehr, als der brave Verteidiger
erwartete.
    Nun richtete ich noch einmal das Wort an den Angeklagten
mit gepreßter Stimme: »Angeklagter, Sie wissen,
was auf dem Spiele steht. Haben Sie noch etwas zu
Ihrer Verteidigung vorzubringen? Bereuen Sie, was Sie
gesagt haben?«
    Er schwieg. Dann senkte er die Arme mit einer Geste
grenzenloser Müdigkeit. Ein wehes Schluchzen erschütterte
seinen armseligen Körper, er schlug die
Hände vors Gesicht, und leise, hilflos weinend wie ein
verlassenes Kind, stammelte er: »Ich habe nichts
Schlimmeres gesagt als hundert andere, und denen hat
man nichts getan. Weil ich ein Jud’ bin, ein häßlicher,
deshalb gehn sie alle gegen mich.«
    Neben mir die unerbittlichen Gesichter wurden
weich und senkten sich beschämt.
     
    Die Verhandlung war zu Ende, der Angeklagte wurde
abgeführt. Da ereignete sich im letzten Augenblick etwas
Seltsames.
    Schon wollte ich die Beratung des Kriegsgerichts
einleiten, da betrat ein Kurier den Verhandlungsraum
und meldete sich bei mir. Er überbrachte mir einige
Dienststücke, aber auch meine Privatpost. Da waren
die lange erwarteten Zeitungen und vor allem — o Jubel
— ein Brief von Désirée.
    Die Dienststücke konnten warten, der Brief nicht.
Ich erbat von dem Vorsitzenden des Kriegsgerichts
eine kurze Pause mit der scheinheiligen Begründung,
daß ich den Einlauf durchsehen müsse, ob er nicht sofortige
Verfügungen erfordere, und stürzte mich auf
den Brief.
    Alles war in schönster Ordnung. Sie liebte mich, sie
hatte Sehnsucht nach mir.
    Mit einem Schlage leuchtete die Welt in anderen
Farben. Der Richter, der einen Akt zu erledigen hatte,
wurde wiederum zum Menschen, den menschliche Not
ergriff.
    Es war aber auch sonderbar, wie dieser Angeklagte
mich fesselte. Nicht nur derart, wie mich schließlich jeder
Angeklagte fesselte, über dessen Leben ich zu entscheiden
hatte.
    Solch einen Namen und solch ein Aussehen! Als vor
hundertfünfzig Jahren seine Ahnen bürgerliche Namen
annehmen mußten, da fiel der Name danach aus,
wie einer zahlen konnte. Und daran hatte dieser hier
zu tragen. Wie hatte sich da menschliche Bosheit mit
der Tücke der Natur verbündet, um ihn mit dem
Fluche der Lächerlichkeit, der Widerwärtigkeit zu beladen.
    Und doch leuchteten in diesem Faunsgesicht die
Augen eines Seraphs, und von diesem Kobold, wenn er
sprach, erstrahlte ein Glanz und eine Würde, wie sie
nur jenen eigen, die in Treue einer Sendung — der
Kunst, der Wissenschaft, der Gotteslehre — dienen.
    Wie mußte der Arme unter seinem Fluche leiden!
    Und in mir wurde der heiße Wunsch lebendig, ihm
zu helfen.
    Fast drei Stunden währte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher