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Papilio Mariposa

Papilio Mariposa

Titel: Papilio Mariposa
Autoren: Oswald Levett
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Gestalt des Überwesens zum Feind der Gesellschaft,
sieht sich also nun plötzlich gerade in jener
Rolle, die man dem immerfort geschändeten Juden zuvor
andichtete.
    Die Flucht des Juden ist mißlungen, seine voluntaristische
Verwandlung in ein ätherisches Lichtwesen bewahrt
ihn nicht vor dem Untergang; sein guter Wille,
allen Anwürfen des Antisemitismus den Boden zu entziehen,
vergrößert lediglich die Tragik seines Schicksals.
    Ist für Levett der Versuch, sich auf diese Art, also
durch die Korrektur der Natur, zu retten, Verrat und
Desertion? Liegt hier der tiefere Grund für Papilio Mariposas
endgültigen Absturz? Oder ist es die Strafe für
die Hybris, sich — wenn auch auf den schönsten
Schwingen — über die menschliche Gesellschaft erheben
zu wollen? Beides ist wahrscheinlich. Auch dürfte
in Levetts Absicht gelegen haben, Grenzen für den
Wissenschaftler zu zeigen, die nur bei Strafe des Verlustes
der Menschlichkeit überschritten werden können.
    Wie auch immer: Das eigentlich Wichtige an der Literatur
sind ihre Lesarten; im Kopf des Lesers entstehen
Werkinterpretation und auch -bedeutung. Wichtiger
also als das Wollen des Autors ist die Fähigkeit des
Lesers, dem Text Anregungen für eigenes Denken zu
entnehmen. Aus diesem Ansatz heraus erwächst geradezu
die Verpflichtung, »Papilio Mariposa« im historischen
Kontext auch der (aus der Sicht des Werkes)
kommenden zehn Jahre deutscher Geschichte, der
Jahre 1935 bis 1945 also, zu lesen. Ich möchte der Versuchung
widerstehen, Levett eine geniale Voraussicht
des Kommenden zu bescheinigen. Nein, im Jahre 1935
dürfte der Betroffene, so meine ich, schon recht deutlich
den Pogrom-Brandgeruch wahrgenommen haben,
selbst in Wien, wo sich der Autor aufgehalten haben
könnte. Dies zum Thema eines Romans gemacht zu
haben ist ohne Frage verdienstvoll, wenn auch nicht
prophetisch zu nennen. Sicherlich wäre zuallererst der
Autor erschrocken über die Eskalation der Judenverfolgung
zum Völkermord innerhalb weniger Jahre.
Klingt doch bereits eine starke Betroffenheit aus seinen
Zeilen des Jahres 1935, versteckt sich hinter Levettsplaudernd unterhaltendem Tonfall (dessen vorgespiegelte
Naivität in einigem an Karel Čapeks Atombomben-Märchen
»Krakatit« erinnert) Abscheu und
Angst.
    In der Wahl der literarischen Mittel betreibt Levett
einen bescheideneren Aufwand als in seinem bereits
1933 erschienenen Roman »Verirrt in den Zeiten«, erzielt
aber kaum geringere Wirkung. Beide Romane
sind (von einer Ausnahme abgesehen) die einzigen
heute noch greifbaren Zeugnisse des Schriftstellers Oswald
Levett. Die sich hinter diesem Namen verbergende
Person jedoch bleibt verschollen. Da sich Oswald
Levett absolut keine biographischen Daten zuordnen
lassen (auch läßt sich kein Anhaltspunkt dafür
finden, daß der Name ein Pseudonym ist), können hier
lediglich vage Vermutungen geäußert werden. Beide
Romane Levetts erschienen ursprünglich in kleinen
Wiener Verlagen, »Verirrt in den Zeiten« im Fiba-Verlag,
Wien; »Papilio Mariposa« im Europäischen Verlag,
Wien und Leipzig. Ein weiteres Indiz deutet darauf
hin, daß Levett sich wenigstens einige Zeit in Wien
aufgehalten haben dürfte. Im Jahre 1925 erschien bei
Ullstein, Berlin, eine eigenwillige Bearbeitung des Romans
»Quatre-vingt-treize« von Victor Hugo unter
dem Titel »Das Jahr der Guillotine«. Als Bearbeiter
des Stoffes zeichneten gemeinsam Oswald Levett und
Leo Perutz.
    Der seit Ende des ersten Weltkrieges in Wien lebende
Jude Perutz, einer der großen und erst vor kurzem
wiederentdeckten deutschsprachigen Autoren der
phantastischen Literatur, stammt aus Prag, wo er dem
Kreis um Franz Kafka, Gustav Meyrink, Franz Werfel
und Max Brod angehörte — wobei literarische Parallelenvon Perutz vor allem zu den beiden Erstgenannten
zu ziehen sind. In Wien zwischen den Weltkriegen war
Perutz u. a. mit Alfred Polgar, Arthur Schnitzler und
Roda Roda befreundet — und offensichtlich auch mit
Oswald Levett. Die Vermutung, Levett sei nicht fremd
in jener literarisch so interessanten Wiener Caféhausszenerie
gewesen, liegt nahe, zumal vieles im Einsatz
phantastischer Verfremdungen bei Levett an Perutz erinnert,
so die Kombination und harmonische Koexistenz
historischer und realistischer Erzählebenen (bei
Perutz in der »Dritten Kugel«, bei Levett in »Verirrt in
den Zeiten«) oder der unmerklich-gleitende, sehr
selbstverständlich wirkende Übergang vom Realistischen
ins Bildhaft-Phantastische. (Erstaunlich dürfen
die
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