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Papilio Mariposa

Papilio Mariposa

Titel: Papilio Mariposa
Autoren: Oswald Levett
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hatte, durch Privatstunden. Schlief in Massenquartieren,
auf Bänken, unter Brückenbogen, hungerte,
darbte, fror; immer wieder gehöhnt, gemieden,
getreten.
    Oft und oft wollte er mich aufsuchen, um mich zu
sehen, um mir Dank zu sagen. Denn er wußte sehr
wohl, daß er mir sein Leben zu danken hatte. Damals,
während der Urteilsberatung des Standgerichts, als er
zwei endlose Stunden auf die Entscheidung über Leben
oder Sterben wartete, damals fühlte er mit jener
Untrüglichkeit, wie sie uns nur im Angesichte des Todes
beschieden ist, daß ich um sein Leben kämpfte.
Nie würde er mir das vergessen.
    Aber sooft er auch schon auf dem Wege war zu mir,
immer wieder hielt ihn etwas ab: die Not, die aus seinen
zerlumpten Kleidern starrte, die Scham, als Bettler
zu erscheinen, die Furcht, ich könnte glauben, er käme
nicht, um zu danken, sondern, um zu bitten. So mußte
er sich damit begnügen, mein Schicksal von ferne zu
verfolgen. Sowie er von einer Verhandlung hörte, bei
der ich zu tun hatte, war er unter den Zuhörern, doch
hätte er nie gewagt, mich anzusprechen. Auch nach
meiner Einladung getraute er sich nicht zu mir.
    Vielleicht wäre er auch heute nicht gekommen, hätte
sich nicht in seinen äußeren Lebensverhältnissen ein
bedeutsamer Wandel vollzogen. Vor kurzem erhielt er
nämlich eine Verständigung der holländischen Behörden,
daß dort ein Oheim von ihm — er war während
des Krieges gleich vielen anderen Juden aus Galizien
nach Holland geflüchtet — ohne Hinterlassung von
Nachkommen gestorben war und ihn als den Letztüberlebenden
der ganzen Familie zum Universalerben
eingesetzt hatte. Die Verlassenschaft belief sich auf
mehrere hunderttausend holländische Gulden in Bargeld
und Wertpapieren, abgesehen von einem Haus
samt Grundstück.
    Er überreichte mir gelassen einige Urkunden, welchedie Richtigkeit dieser Angaben bestätigten. Nun durfte
er also kommen ohne die Gefahr einer Mißdeutung.
Und er ergriff meine Hände und sagte mir innigen
Dank.
    Aber er kam auch als Klient. Von Geldsachen verstand
er nichts, der Umgang mit Menschen, noch dazu
der geschäftliche, war ihm unerwünscht. Darum bat er
mich, ich möge seine Erbschaft in Holland realisieren,
das Geld und die Wertpapiere beheben, den Grundbesitz
und die sonstigen Fahrnisse versilbern. Das Vermögen,
in dessen Besitz er gelangte, wünschte er folgendermaßen
zu verwenden: ein Drittel als Stiftung für
Krüppel und Mißgestalten, ein Drittel zum Ankaufe
eines kleinen Landgutes in einer schönen Alpenlandschaft,
wo er in aller Beschaulichkeit seinem Studium
obliegen wollte, und den Rest als Kapitalsanlage, deren
Erträgnisse ihm ein behagliches Auskommen sicherten.
    Er war zu Ende. Ich schwieg und blickte zur Decke
nach den Rauchwölkchen, die in der dämmrigen Höhe
zerflossen. Seine Erzählung hatte mich merkwürdig ergriffen.
Das Abenteuerliche dieses Schicksals, die zweimalige
Rettung vor dem schon sicheren Tode, der märchenhafte
Aufstieg aus tiefer Not zu glänzendem
Reichtum; die ungekünstelte Gelassenheit, mit der er
von all den Schrecknissen und Kümmernissen wie
auch von seinem jähen Glücke sprach, die Demut, die
er auch im Wohlstand bewahrte, die edle Hilfsbereitschaft,
wie er seinen neuen Reichtum, statt ihn nach allem
Elend unbedenklich zu genießen, mit den Unglücklichen
teilte.
    Wie reich mußte er doch sein, wenn Glück und Unglück,
Armut und Reichtum so wenig über ihn vermochten!Wer so gelassen durch die Höhen und die
Tiefen schreitet, wer mit solch unberührtem Gleichmut
ins Dunkel und ins Helle blickt, dem muß ein überhelles
Licht den Weg erleuchten.
    Die Durchführung der Transaktionen, mit denen
mich mein neuer Klient betraute, brachte es mit sich,
daß wir uns von nun an häufig sahen. Aus den geschäftlichen
Besuchen wurden bald freundschaftliche.
    Ich schloß Freundschaft mit Mariposa, eine Freundschaft,
die nicht etwa dem reichen Klienten, sondern
dem edlen, bedeutenden Menschen galt, die um so inniger
wurde, je schwerere Hindernisse sie anfangs zu
überwinden hatte.
    Zu diesen Hindernissen, ich gestehe es, gehörten
nicht nur meine Verschlossenheit, der Unterschied des
Alters und der Rasse, sondern auch die Häßlichkeit
seines Äußeren und seiner Sprache. Es dauerte geraume
Zeit, ehe ich mich mit ihm öffentlich zu zeigen
getraute, und wenn man mich dann fragte, wer denn
dieses kleine Scheusal gewesen sei, dann schämte und
ärgerte ich mich. Aber diese kleinliche Eitelkeit war
bald
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