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Papilio Mariposa

Papilio Mariposa

Titel: Papilio Mariposa
Autoren: Oswald Levett
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günstig.
    Naftali Margoschenes 2 ) hieß er. Der Name war nicht
gerade eine Empfehlung.
    In meiner Unruhe und Unzufriedenheit war mir die
bevorstehende Standrechtsverhandlung gar nicht unwillkommen
— das gestand ich mir selbst ein —, denn
sie brachte zumindest ein wenig Abwechslung und
Emotion in das langweilige Einerlei. Was ich mir aber
nicht gestand und was mir auch, zu meiner Ehre sei’s
gesagt, gar nicht bewußt wurde, das war der in den
heimlichen Tiefen meiner Seele lauernde grausame
Wunsch, meinen Mißmut auszutoben, mein Mütchen
an einem Wehrlosen zu kühlen.
    Ja, so kommen Strafurteile zustande. Homo homini
lupus. Es greife so mancher Strafrichter an seine Brust
und bekenne, wieviel Jahre Kerker mehr er verhängt,
weil sich seine Frau mit ihm zankte, weil ihn die Geliebte
betrog, weil sein Bürokollege befördert wurde.
    Zur freudigen Überraschung des Generals — welcher
einen solchen Diensteifer von mir nicht gewohnt war —
meldete ich mich sogleich ab, um den betreffenden
Frontabschnitt aufzusuchen und die Standrechtsverhandlung
an Ort und Stelle durchzuführen.
    Die Verhandlung begann. Der Divisionär hatte die
Beisitzer diesmal selbst bestimmt. Lauter Offiziere, auf
deren Urteil er glaubte, sich »verlassen« zu können.
    Als der Name des Angeklagten aufgerufen wurde,
Naftali Margoschenes, sahen sie einander an und hatten
Mühe, sich das Lachen zu verbeißen. Die Lächerlichkeitdieses Namens paßte schlecht zu dem Ernst
des Augenblicks, sie brachte etwas wie einen skurrilen
Humor in die Düsterheit des Standgerichts.
    2)   Margos: Dummkopf (d. Hrsg.)
    Nun wurde er hereingeführt. Ich sah ihn jetzt zum
erstenmal. Wieder blickten wir einander an — diesmal
ich mit —, und wieder hatten wir Mühe, nicht aufzulachen.
    Was war das aber auch für eine Karikatur von einem
Menschen! Es war fraglich, ob er überhaupt das Militärmaß
erreichte; er war kaum so groß wie ein fünfzehnjähriger
Knabe. Dabei war er wie frierend zusammengekauert,
so daß ihm die langen Arme bis zu den
Knien hinunterbaumelten. Und was für ein Gesicht!
Ein gottsjämmerlich breiter Mund mit wulstigen, triefenden
Lippen, die Nase wehmütig plattgedrückt, der
Kopf spitz zulaufend und mit spärlichem Stichelhaar
bedeckt. Wie war da jedes einzelne für sich und alles
zusammen erst recht häßlich, quälend lächerlich.
    Nur die Augen standen in einem merkwürdigen Gegensatz
zu ihrer trostlosen Umgebung. Sie waren tiefblau
und leuchteten in schwermütigem, mir unvergeßlichem
Glanze.
    Es begann die Vernehmung des Angeklagten. Er war
kaum über zwanzig Jahre alt — ebensowohl hätte er
über vierzig sein können —, in irgendeinem galizischen
Nest geboren und angeblich Student der Philosophie.
Seine Aussprache war unzweifelhaft die des polnischen
Juden, aber seine Stimme wohllautend, seine Ausdrucksweise
klar und höchst gebildet.
    Als ich ihn über die ihm zur Last gelegten Äußerungen
befragte, dachte er bei einigen angestrengt nach,
sichtlich bemüht, sich zu besinnen, einige gab er unumwunden
zu. Ich fragte ihn weiter: Angenommen, erhätte wirklich nur jene Äußerungen getan, die er zugab;
aber wie könne er es mit seiner beschworenen Soldatenpflicht
vereinbaren, derart aufrührerische Reden
zu führen?
    Er entgegnete in ruhigem Tone, er habe nicht gewußt,
daß es verboten sei, die Wahrheit zu sagen. Ich
fühlte die Stimmung der Richter: Ein polnischer Jud’
und frech auch noch; vielleicht gar ein Revolutionär.
    Die Zeugen bestätigten der Reihe nach sämtliche inkriminierten
Äußerungen. Mochten sie beeinflußt sein
oder sich besprochen haben, mochten sie die Wahrheit
sagen — es war eine wohlgefügte Kette, nicht zu durchbrechen.
    Zum Verteidiger hatte der General einen blutjungen
Husarenoberleutnant bestimmt, einen österreichischen
Aristokraten, der von der Sache keine Ahnung hatte.
Es war klar, welche Absicht Seine Exzellenz mit dieser
Auswahl verfolgte: Das Vorurteil des aristokratischen
Offiziers gegen den polnischen Juden, die natürliche
Unfähigkeit des Verteidigers sollten einer standrechtlichen
Verurteilung möglichst wenige Hindernisse entgegensetzen.
    Es war interessant, zu beobachten, wie der junge Offizier
anfänglich seiner Aufgabe gegenübertrat und
welche Wandlung sich in ihm vollzog. Als er den Namen
des Angeklagten hörte, als er ihn sah, da war ihm
deutlich der Abscheu vor seinem Schützling, der Widerwillen
gegen seine Aufgabe anzumerken. Doch allmählich
mochte in ihm eine dunkle Ahnung von
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