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Panic

Panic

Titel: Panic
Autoren: Mark T. Sullivan
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Eis. Ich zwang mich, die Arme nicht dicht an den Körper zu pressen. Die Kälte würde ihre Wirkung besser tun, wenn ich mich ihr ganz auslieferte. Ich legte mich hin, wandte das Gesicht dem Schneetreiben zu und hatte binnen Augenblicken das Gefühl, als würde mein Körper sich zurückziehen, den Blutfluss in die Extremitäten abdrehen. Hände und Füße wurden taub. Ich fühlte mich schwindelig, die ersten Anzeichen von Unterkühlung.
Ich werde immer schläfriger
, sagte ich mir,
und dann wird es nur noch schwarz um mich sein, wie im Fluss meiner Halluzination in der Höhle
.
    Es kam, mich zu holen, kam übers Eis geschlichen, ein öliges Etwas, dessen Gegenwart ich spürte, aber nicht sah; und ich bereitete mich darauf vor, es willkommen zu heißen, als ich in der Ferne Kinderlachen hörte. Hübsche Vorstellung, wenn man im Begriff ist zu sterben, dachte ich. Da hörte ich das Lachen erneut, beharrlicher jetzt, und ich erkannte die Stimmen meiner Kinder. Ich hob den Kopf und sah sie vor mir: Sie saßen am Esstisch, viel jünger, als sie tatsächlich waren, Patrick vielleicht fünf und Emily zwei. Sie saßen in ihren Kinderstühlen und hatten sich über und über mit Spaghetti bekleckert. Patrick schnitt Grimassen, und sie lachte, dass Nudeln und Tomatensoße durch die Gegend flogen, und als ich ihre überschäumende Fröhlichkeit sah, wurde mir warm ums Herz, und da war plötzlich auch mein Lebenswille wieder da. Wenn ich jetzt starb, würde ich ihnen nie zeigen können, wie man in einer Welt überlebt, die von unberechenbaren bösen Kräften beherrscht wird.
    Zitternd raffte ich mich auf, ignorierte die beißende Kälte und nahm mir vor, meinen Kindern zuliebe weiterzuleben.
    Ich zog also die Jacke wieder an und tastete mich durch die Weiße, bis ich endlich vor meiner Hütte stand, benommen und fast erfroren.
    Im Innern sah ich die Möbel, die Wände, die Gaslampen, das Ölbild und endlich den Hirsch. Hass wallte in mir auf gegen alles, was der Hirsch zu verkörpern schien, und ich riss ihn von der Wand, hob ihn an den Geweihstangen hoch über meinen Kopf. Ich starrte ihm in die Augen, wollte mir seine Gestalt einprägen, bevor ich ihn gegen die Wand schleuderte. Da erkannte ich mich selbst in seinen Glasaugen.
    Lange starrte ich durch den Hirsch in mein Inneres. Dann legte ich ihn endlich beiseite. Um Ryan Einhalt zu gebieten, würde ich eine der Jagdpraktiken anwenden, die mein Vater und Mitchell mir beigebracht hatten: Wer einen Hirsch jagen will, muss eins mit ihm werden. Diese plötzliche Erkenntnis machte mir Angst. Um Ryan zu jagen, müsste ich bereit sein, seine Welt zu betreten, in der nichts war, wie es schien, in der ungestüme Kräfte durch Tier und Fels und Himmel geisterten. Ich würde mich dem Chaos vorbehaltlos ausliefern müssen, selbst auf die Gefahr hin, den Verstand zu verlieren.
     
    Als Mädchen hatte ich von Mitchell die Legenden unseres Volkes gehört. Er hatte erzählt, wie die
Puoin
sich auf ihre Rituale und Reisen in andere Welten vorbereiteten: Sie stellten einen Pfahl oder Ast vor ihren Häusern auf und behängten ihn mit Geschenken. Es war die sichtbare Manifestation des Baums, der die Welt, die wir sehen, spüren, schmecken, riechen und hören, mit den flüchtigen Reichen darunter, darüber und dahinter verbindet. Während ich mich am Holzofen aufwärmte, musste ich mir eingestehen, dass ich nicht mal ein Achtel all dessen begriff, was ich hätte wissen müssen, um diese Zeremonie durchführen zu können, doch ich hatte keine Wahl. Ich würde mir die Schatten meines früheren Lebens so gut wie möglich in Erinnerung rufen.
    Ich öffnete die Tür und ließ mich erneut vom Blizzard einsaugen. Ich kämpfte mich zu einem der Bäume vor und brach einen großen Zweig ab. Den schleppte ich in die Hütte, stellte ihn zwischen zwei Stühlen auf und warf die Hirschhäute darüber, die ich in der Nacht getragen hatte, in der ich den Wölfen entkommen war. Auf das Rohleder heftete ich das Foto von Emily und Patrick und daneben das Bild von Lizzy Ryan. Um beide Fotos drapierte ich den blutbeschmierten Verband um meinen Unterarm. Ganz oben fand der kleine Spiegel aus meiner Puderdose Platz, und darunter die Rabenfeder, die ich Grover aus dem Mund genommen hatte, dazu eine Strähne aus meinem Pony.
    Als das erledigt war, ging ich ins Badezimmer, legte die Kleider ab und duschte. Anschließend rieb ich mich mit den zermahlenen, duftenden Nadeln aus der Spitze des Zweigs ein, der zum Mittelpunkt im
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