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Pandemonium

Pandemonium

Titel: Pandemonium
Autoren: Lauren Oliver
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als ob all die Türen Münder sind, bereit sich zu öffnen und meine Anwesenheit hinauszuschreien.
    Die letzte Tür ist mit TRIBÜNE D überschrieben. Meine Handflächen schwitzen so stark, dass ich den Türknauf kaum drehen kann. Im letzten Moment hole ich das Messer aus der Tasche meiner Windjacke, für alle Fälle. Dann ducke ich mich und husche durch die Tür auf die Tribüne. Ich umklammere das Messer so fest, dass meine Knöchel schmerzen.
    Die Tribüne ist groß, dunkel und leer. In L-Form erstreckt sie sich über zwei Wände des Behandlungszimmers darunter. Sie ist komplett verglast und enthält vier Reihen Stühle. Es riecht wie in einem Kino, nach feuchten Polstern und Kaugummi.
    Noch immer geduckt schleiche ich die Treppe hinab, dankbar dafür, dass das Licht auf der Tribüne aus ist – und auch dafür, dass mich die niedrige Wand am Rand der Tribüne zumindest teilweise vor den Blicken derjenigen da unten abschirmt.
    Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt tun soll.
    Das Licht im Behandlungszimmer ist grell; in der Mitte steht ein Metalltisch. Zwei Laborantinnen gehen herum, stellen Geräte zurecht und räumen Dinge aus dem Weg. Thomas Fineman und einige andere Männer – die Männer vom Flur – befinden sich in einem Nebenraum, der ebenfalls verglast ist. Obwohl Stühle für sie aufgestellt worden sind, stehen sie alle. Ich frage mich, was Fineman wohl denkt. Ich denke kurz an Julians Mutter. Wo sie wohl ist?
    Julian sehe ich nirgends.
    Ein Lichtblitz. Ich denke Explosion ! Ich denke nichts wie weg ! Und alles in mir verkrampft sich, ich bin voller Panik, bis ich bemerke, dass in der Ecke ein Mann mit einer Kamera und einem Presseausweis um den Hals steht. Er macht Fotos und das Blitzlicht wird von den ganzen polierten Metalloberflächen reflektiert.
    Natürlich. Ich hätte wissen müssen, dass die Medien eingeladen sein würden. Sie müssen die Hinrichtung dokumentieren und die Bilder zeigen, damit sie eine Bedeutung bekommt.
    Hass steigt in mir auf und gleichzeitig Wut. Sie sollen alle brennen.
    In der Ecke bewegt sich etwas, am Rande des Bereichs, der unter der Tribüne verborgen liegt. Ich sehe, wie sich Thomas Fineman und die anderen hinter der Scheibe in diese Richtung drehen. Thomas wischt sich mit einem Taschentuch über die Stirn, das erste Anzeichen von Unbehagen, das er zeigt. Auch der Fotograf dreht sich um: Blitz, blitz. Zwei Augenblicke blendend weißen Lichts.
    Dann betritt Julian das Zimmer. Er wird von zwei Aufsehern flankiert, geht allerdings allein, sie führen ihn nicht. Ihnen folgt ein Mann mit dem hohen weißen Kragen eines Priesters; er hält ein goldgebundenes Exemplar des Buchs Psst vor seiner Brust wie einen Talisman, der ihn vor allem Schmutzigen und Schrecklichen in der Welt beschützen soll.
    Der Hass ist ein Seil, das mir die Kehle zuschnürt.
    Julians Hände sind vor dem Körper mit Handschellen gefesselt und er trägt ein dunkelblaues Jackett und eine sorgfältig gebügelte Jeans. Ich frage mich, ob er sich das selbst ausgesucht hat oder ob er für seine eigene Hinrichtung ausstaffiert worden ist. Er hat mir den Rücken zugekehrt und ich versuche ihn wortlos dazu zu bringen, sich umzudrehen, aufzublicken. Er muss wissen, dass ich hier bin. Er muss wissen, dass er nicht allein ist. Gedankenlos strecke ich die Hand aus, betaste die Scheibe. Am liebsten würde ich sie zerschmettern, hinunterspringen und ihnen Julian entreißen. Aber das Glas ist dick und vermutlich unzerbrechlich. Und so ein Plan würde niemals funktionieren. Ich käme nicht weiter als einen Meter und dann gäbe es eine Doppelhinrichtung.
    Aber vielleicht wäre das auch egal. Mir bleibt nichts mehr, nichts, wohin ich zurückkehren könnte.
    Die Aufseher sind neben dem Tisch stehen geblieben. Ein Gespräch brandet auf, ich höre, wie Julian sagt: »Ich möchte mich lieber nicht hinlegen.« Seine Stimme dringt gedämpft und undeutlich durch die Scheibe, aber bei ihrem Klang möchte ich am liebsten schreien. Jetzt hämmert mein ganzer Körper, in mir pulsiert der Drang, etwas zu unternehmen. Aber ich bin schwer wie Stein.
    Einer der Aufseher tritt vor und nimmt Julian die Handschellen ab. Julian dreht sich um und jetzt kann ich sein Gesicht sehen. Er lässt die Handgelenke kreisen, hin und her, und zuckt leicht zusammen. Beinahe augenblicklich schließt der Aufseher Julians rechtes Handgelenk am Metalltisch fest und drückt Julian an der Schulter nach unten, so dass er sich auf den Tisch setzen muss. Seinen
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