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Palazzo der Lüste

Palazzo der Lüste

Titel: Palazzo der Lüste
Autoren: Isabell Alberti
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Fresken stammen aus dem Jahr 1754 und Giambattista Tiepolo hat sie gemalt.«
     
Links neben der Tür lagen auf einem Tisch Broschüren über die Sehenswürdigkeiten Santa Maria della Pietàs zu ordentlichen Stapeln geschichtet. Manche zeigten auf dem Titelbild eine Frontalansicht des Altarraumes, andere die Deckenfresken. Cecilia blieb einen Augenblick stehen und studierte eine der Broschüren. Stefano schaute ihr über die Schulter.
     
»Was willst du mir zeigen?«, fragte er, ebenfalls mit gesenkter Stimme. Sie hatte ein Timbre, das Cecilia ihren Plan vergessen lassen könnte.
     
Entschlossen legte sie die Broschüre wieder zurück, griff nach seiner Hand und führte ihn in das Kirchenschiff. Nahe dem Altarraum stand eine Touristengruppe und lauschte den Worten ihres Reiseführers. Er schien etwas zu den Fresken zu erklären, denn die meisten schauten nach oben, nur am Rand standen zwei unaufmerksame Teenager und waren damit beschäftigt, ihre Wirkung auf das andere Geschlecht auszuprobieren. Der Beginn einer zarten Romanze. Cecilia lächelte ihnen zu, aber sie zeigten keine Reaktion.
     
In der Mitte der Kirche blieb sie mit Stefano stehen.
     
»Schau das Fresko an. Das ist die Aufnahme der Muttergottes in den Himmel.« Sie sah nach oben und erkannte einen Augenblick nur wimmelnde Leiber. Erst nachdem sich ihr Blick geklärt hatte, und sie sich auf Einzelheiten konzentrieren konnte, sah sie sofort, was sie gesucht hatte.
     
Stefano schaute ebenfalls nach oben. Sein eigener Malstil war von dem des Rokoko so weit entfernt wie Venedig von Palermo, dennoch bewunderte er die Kunst Giambattista Tiepolos.
     
Am Rand des ovalen Freskos tummelten sich singende und musizierende Engel. In der Mitte stand auf einer Wolke die Jungfrau Maria und wird vom ewigen Vater gekrönt. Hoch erhoben hält er das Kreuz in beiden Händen. Flankiert werden die beiden von Gottes Sohn und einer Taube, die den heiligen Geist symbolisiert. Die Farben wurden vom Rand zur Bildmitte hin immer heller. Die Jungfrau strahlte in einem geradezu überirdischen Licht.
     
Das alles hatte der Meister mit sicheren Pinselstrichen in kurzer Zeit geschaffen. Er könnte das nicht, gestand Stefano sich neidlos ein.
     
»Siehst du es?«
     
»Was soll ich sehen?« Seine Augen waren von der strahlenden Maria geblendet.
     
»Schau genau hin.« Cecilias Blick glitt liebevoll über die Engel am Rand.
     
Ein Lächeln lag auf ihrem Gesicht, vor dem alle Schönheit des Bildes verblasste. Stefano trat dicht neben sie und legte die Hände auf ihre Schultern.
     
»Du bist die Schönste«, flüsterte er dicht neben ihrem Ohr.
     
»Wir sind in einer Kirche.«
     
»Deswegen kann ich das doch sagen.« Seine Stimme klang verführerisch. Sein Atem auf ihrer Haut jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
     
»Stefano.« Sie schmiegte sich für einen Augenblick an ihn und zeigte dann auf zwei Engelsköpfe am Fuß des Bildes über dem Hals einer Laute. »Schau sie dir an.«
     
Seine Augen folgten ihrem ausgestreckten Finger.
     
Diese beiden Engel. Das konnte doch gar nicht … Er schaute noch einmal und noch einmal. Es war …
     
»Der eine sieht aus wie du,« sagte er so laut, dass es in der Kirche widerhallte.
     
Die Touristen blicken strafend zu ihm herüber, weil er die heilige Ruhe oder den Vortrag ihres Fremdenführers gestört hatte. Die Teenager kicherten verhalten.
     
Es war eine jüngere Cecilia im Halbprofil und noch mit Babyspeck auf den Wangen, wie sich das für einen Engel gehörte, aber es waren unverkennbar ihre Gesichtszüge.
     
»Der sieht wirklich aus wie du«, wiederholte er leiser.
     
»Das bin ich. Ich war hier, als Maestro Tiepolo die Fresken gemalt hat. Für diesen einen Engel habe ich ihm Modell gestanden.«
     
Gestanden war eine beschönigende Umschreibung für den Balanceakt hoch oben auf dem Gerüst. Es hatte kaum länger als eine Viertelstunde gedauert, aber noch heute dankte sie der Madonna, dass sie heil wieder unten angekommen war. Wie hatte es Tiepolo nur den ganzen Tag auf dem Gerüst ausgehalten – er war 1754 kein junger Mann mehr gewesen.
     
»Freskenmaler haben keine Modelle«, wies Stefano sie zurecht, war aber tief beeindruckt von der Ähnlichkeit.
     
»Im Allgemeinen nicht, aber diese ist eine Ausnahme. Das ist der Beweis, dass ich wirklich in die Vergangenheit gereist bin. Wie hätte Tiepolo das malen sollen, wenn ich nicht dort gewesen wäre?«
     
Das war eine Frage, die sich nicht leicht beantworten ließ. Die
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