Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
P., Thomas

P., Thomas

Titel: P., Thomas
Autoren: Der Rache Engel
Vom Netzwerk:
können.
     
    3. Der Soldat: Zwischen allen
Fronten
     
    1.
     
    Noch während meiner Zeit als Schul-Heimarbeiter bewarb ich
mich im Frühjahr 1993 um einen Ausbildungsplatz. Bei einem Teegroßhandel - wie
könnte es in Ostfriesland auch anders sein - wollte ich Bürokaufmann lernen.
Das Bewerbungsgespräch bestand darin, dass ich Tee kochen musste. Großartig,
das konnte ich. Und noch viel besser: Die hätten mich sogar genommen.
    Aber ich wollte eigentlich zur Bundeswehr. Zumindest, als
ich den Eignungstest bei der Polizei absolviert und bestanden hatte, jedoch
noch bis zum 1. Oktober hätte warten müssen. Aber weitere drei Monate
herumzusitzen wäre mir zu viel gewesen. Beim Bund konnte ich direkt am 1. Juli
loslegen, und weil ich es so furchtbar eilig hatte, von zu Hause wegzukommen,
stand ich schon am 30. Juni vor dem Kasernentor und bat um Einlass.
    Bei der Heeresfliegerstaffel in Rotenburg an der Wümme
haben die nicht schlecht geschaut, weil ich mit meinen 17 Jahren noch immer
aussah wie ein Zwölfjähriger. Klein, schmächtig, milchgesichtig und auch noch
einen Tag zu früh. So etwas war bis dahin wohl noch nicht vorgekommen. Ich
konnte meine Stube beziehen und habe mich sofort daheim gefühlt. Hier gehörte
ich hin, das spürte ich ganz deutlich. Aurich und meine Familie lagen weit
hinter mir. Ich hatte meine neue Heimat gefunden - das glaubte ich wenigstens.
    Nach Aurich zog es mich kaum noch zurück. Einmal fuhr ich
dann doch nach Hause, und als ich angekommen war, sah ich vom Weg aus durchs
Fenster meine Mutter mit ihrem neuen Lover in der Küche sitzen. Saufend. Ich
machte sofort kehrt und fuhr nonstop zurück in die Kaserne. Meine Mutter hatte
besonders nach dem Tod meines Vaters nur noch abgestürzte, kaputte Typen mit
nach Hause gebracht, und die wollte ich mir ab diesem Zeitpunkt einfach ersparen.
Ich erinnere mich noch an eine Szene aus meiner Kindheit, als ich gerade am
Küchentisch saß, artig die Hausaufgaben machte und mich ein Macker meiner
Mutter wie wahnsinnig anstarrte. Plötzlich fragte er mich - einen damals zehn
Jahre alten Jungen: »Soll ich's tun?«
    Ich wusste weder mit seiner Frage noch mit seinem
schmierigen Grinsen etwas anzufangen, da war es auch schon passiert: Er griff
nach seiner Tasse und kippte meiner Mutter ohne jede Vorwarnung einfach
kochenden Kaffee in den Ausschnitt. Dann packte er sie an den Haaren und schlug
sie mit dem Kopf an das Küchenfenster. Meine Mutter schrie und stöhnte vor
Schmerz - aber ich empfand in diesem Moment nicht nur Mitleid. Da waren auch
Abscheu und Ekel. Diese Frau und ihre Typen widerten mich an. Pack schlägt sich
- Pack verträgt sich, diese bescheuerte, abgedroschene Redewendung war durchaus
richtig.
    Umso glücklicher machte mich meine Ersatzfamilie
Bundeswehr. Jeder Tag war von fünf Uhr morgens bis zehn Uhr am Abend voll und ganz
durchstrukturiert. Alles war geplant, und ich brauchte nur noch »ja« oder
»jawoll« zu sagen, und die Sache lief rund. Nicht mehr Klein-Tom musste sich um
alles kümmern, sondern die Armee tat das für ihn. Die Bundeswehr sagte mir,
was ich zu tun hatte, und ich war nach 17 Jahren der Narrenfreiheit endlich
irgendwo angekommen, wo man sich um mich kümmern - und wo man mich vielleicht
sogar ein wenig erziehen würde.
    Gleichwohl musste ich auch Verantwortung übernehmen und
lernen, mit Handgranaten, Panzerfaust oder Maschinengewehr umzugehen. Ich war
noch immer klein und schmächtig, aber ich war grenzenlos fit, nahm jede
körperliche Herausforderung an und schaffte sie auch. Zur Überraschung nicht
nur meiner Vorgesetzten.
    Ich hatte allerdings zu jener Zeit auch ein paar sehr
exklusive Ansichten, die mich im zunehmenden Maße vor immer größer werdende
Probleme stellte. Als es an einem Freitag draußen mal über 30 Grad heiß war und
die Luft vor Hitze flirrte, hatte der Kommandeur angeordnet, dass wir um zehn
Uhr morgens ins Wochenende gehen könnten. Hitzefrei, wie in der Grundschule.
Und da bekam ich Zustände! Das war ja wie bei Asterix und Obelix. Was wäre
denn gewesen, wenn ein Krieg ausgebrochen wäre? Hätte Deutschland dann gesagt:
»Verzeihung, aber es ist heiß, es ist Wochenende, und unsere Soldaten haben
hitzefrei bekommen. Kommen Sie doch bitte am Montag wieder.« Unglaublich. Eine
Schlampigkeit, die nicht in meinen Kopf passen wollte. Und eine Sache, die ich
durchaus offen kritisierte. Was natürlich nicht allen gefallen konnte.
    Am 1. Juli 1994 — ein Jahr nach meinem Dienstbeginn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher