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P., Thomas

P., Thomas

Titel: P., Thomas
Autoren: Der Rache Engel
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meine Schwester überschreiben zu lassen. Warum,
weiß ich bis heute nicht. Ich würde leer ausgehen - natürlich, denn ich war ja
das Kind eines anderen, und das Haus hatte zuvor dem Vater meiner
Halbgeschwister gehört. Ich war noch zu jung, um dem Ganzen eine Bedeutung
beizumessen. Aber ich bekam sehr wohl mit, dass wir schon bald darauf umziehen
mussten. Mein Bruder hatte offenbar keine Zeit verloren, unser Haus zu
verzocken und zu verjubeln. Er hatte einen hohen Kredit aufgenommen, das Geld
verjuxt, und eine Zwangsversteigerung konnte wohl nur ganz knapp abgewendet werden.
Wenigstens war noch ein wenig Geld übrig, um eine kleine Dreizimmerwohnung zu
kaufen. Eine mit vier Zimmern war zu jener Zeit wohl auch im Angebot, aber die
lag offenbar zu weit außerhalb von Aurich, hieß es. Und meine Mutter konnte
eines nicht gebrauchen: Abend für Abend sturzbetrunken einen langen Heimweg
nehmen zu müssen.
    In der neuen Wohnung war nur leider kein Platz für mich.
Ein Zimmer gehörte meiner Mutter, das andere meinem Bruder, und mir blieb nur
die Couch im Wohnzimmer. Ich war unerwünscht, und jeder ließ es mich spüren.
Nichts Neues für meine Kinderseele, aber ohne ein eigenes Zimmer, ohne mein
eigenes kleines Reich - das war eine ganz andere, gleichsam kältere Dimension.
    Aber natürlich war ich auch in unserem neuen »Zuhause«
häufig alleine, konnte nach Belieben Freunde einladen, grenzenlos fernsehen und
Computerspiele machen, sodass es irgendwann gar nicht mehr ins Gewicht fiel,
dass ich kein eigenes Zimmer hatte.
    Meine sogenannte Familie verbrachte schließlich weiterhin
einen Großteil ihres Lebens in billigen Kaschemmen oder schäbigen Bordellen.
     
    5.
     
    In dieser Zeit wurde es in unserer Schule plötzlich
schick, »links« zu sein, und fast jeder Idiot nähte sich im Laufe der Zeit ein
»Gegen Nazis«-Patch auf die Jacke. Grund genug, eine kleine Gegenbewegung zu
gründen. Es begann eigentlich ganz harmlos. Irgendwann beschlossen ein paar
Jungs aus meiner Schule, dass sie fortan rechts seien. Zu diesem Zweck nahmen
sie an Veranstaltungen der Wiking-Jugend teil. Und da gingen Diana und ich
dann einfach mal mit — getrieben von einer Mischung aus Neugier und Langeweile
und dem aufregenden Gefühl, etwas Anrüchiges zu tun. Und schon bald gehörten
auch wir dazu - ohne politisch auf derselben Linie wie unsere braunen Freunde
zu sein. Wir waren nicht für die Nazis, als wir uns »Apartheid? Was
sonst!«-Patches aufnähten — wir waren vielmehr gegen die linken Konformisten
an unserer Schule. Wir waren das eine Prozent, das anders war, und ich auf dem
direkten Weg, ein Onepercenter zu werden. Allerdings ohne etwas über die
Bedeutung des Wortes zu wissen und ohne etwas zu ahnen...
    Die Wiking-Jugend war für mich ein eher formloser
Zusammenschluss von jungen Leuten mit Musik, etwas zu trinken und einer
Wehrsportgruppe. Gegründet wurde sie offenbar im Jahr 1952 und sah sich als
Nachfolgeorganisation der »Hitler-Jugend« und dem »Bund Deutscher Mädel«. Eine
rechtsextremistische Kaderschule also, die vor allem labile Jugendliche — wie
ich es war - begeistern sollte. Bis zu ihrem Verbot im November 1994 durch das
Bundesministerium des Inneren erreichte sie an die 500 Mitglieder. Ich selbst
war nur ein einziges Mal auf einem der größeren Treffen auf einem Campingplatz
in der Nähe von Soltau. Dort sah man viele Männer in schwarzen Hosen, weißen
Hemden, schwarzen Krawatten; die Frauen alle mit züchtigen, übers Knie
reichenden Röcken. Dazu kamen ein paar Ältere - siebzigjährige oder
achtzigjährige Kriegsveteranen, die sich mit uns jungen Leuten um ein großes
Lagerfeuer scharten. Mir war das zu viel Folklore, und ich kam mir vor wie auf
einem Heimatfest. Inhaltlich hatte ich mit denen nichts zu tun, aber ihre
Aufnäher und Aufkleber sorgten an unserer Schule einfach für Aufruhr ...
    Es war Anfang der Neunzigerjahre, die Zeit der Anschläge
auf Asylantenheime, die Zeit der Lichterketten, als alle landauf, landab
bekannten, wie links, liberal und wie gut sie doch seien. Ich aber wollte nicht
mit diesem Strom schwimmen. Nachdem wir auch die DVU angeschrieben und die uns
gratis ihre Aufkleber zugeschickt hatten, ging der Spießrutenlauf erst richtig
los. »Ich bin stolz, Deutscher zu sein«, prangte auf meinem Fahrrad. Gekauft
hätte ich mir diesen Scheiß nie, aber umsonst? Was soll's? Ich wollte und
konnte so ganz einfach ein wenig provozieren — mit ein paar dämlichen
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