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P., Thomas

P., Thomas

Titel: P., Thomas
Autoren: Der Rache Engel
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Baseballschläger auf die Schulter. Und noch bevor ich schauen,
reagieren oder etwas realisieren konnte, wurde mir der Schläger mitten ins
Gesicht geknallt. Ich ging sofort k.o., und erst einige Momente später, als ich
die Augen gerade wieder aufmachte, trat mir ein anderer Typ mit voller Wucht in
den Bauch. Und wieder. Immer wieder. Ich sah noch verschwommen meinen Bruder
ein paar Meter weg stehen, aber der feige Kerl kam mir nicht zu Hilfe.
    Irgendwann hauten die Arschlöcher dann endlich ab, nachdem
sie mich mit fünf gegen einen fertiggemacht hatten. Ich lag noch einige Minuten
wie ein Haufen Müll auf dem Gehweg, bevor ich langsam wieder aufstehen konnte.
Mein Kopf pochte und dröhnte. Alles tat mir weh, ich konnte kaum atmen, und -
was für eine Ironie - ich war nicht mehr in der Lage, meinen rechten Arm zu
bewegen. Ich brachte ihn einfach nicht mehr hoch.
    Ich schleppte mich zurück ins Haus, und als ich in den
Spiegel blickte, kam der nächste Schock. Mein Gesicht war vollständig
angeschwollen, die Lippe zwischen den Schneidezähnen eingeklemmt, und das Blut
strömte sturzbachartig aus meiner Nase und dem Mund. Um ins Krankenhaus zu
gelangen, musste ich mir ein Taxi rufen, denn meine Mutter saß zu dieser Zeit
schon längst wieder in ihrer Kneipe. Ich war 16 Jahre alt und lag, von Linken
verdroschen, allein im Krankenhaus in der Notaufnahme. Meine vorderen Zähne
waren locker, das Schlüsselbein zertrümmert und die Wut fast unbändig. Und —
mein Bruder hatte mich im Stich gelassen. So, wie er es schon immer getan
hatte.
    Ich weiß heute noch nicht, woher dieser Hass kam, denn so
blöd und idiotisch meine pseudorechte Gesinnung war, so harmlos war ich am Ende
doch auch. Ich hatte nie politisch agitiert, hatte niemanden verdroschen und
haftete doch quasi stellvertretend für all die rechtsradikalen Auswüchse in
Deutschland und sicherlich auch für das, was meine Auricher »Kollegen« in der
Zeit so alles anstellten. Wovon ich allerdings nichts wusste, weil ich nie
dabei war.
    Nach dem Anschlag auf mich wurden noch andere angepöbelt
und verprügelt. Und auch ich wurde noch ein weiteres Mal derart vermöbelt,
dass ich vier Wochen lang nur Grießbrei durch einen Strohhalm ziehen konnte.
Einen anderen hatten sie verkloppt und am Kanal durch die Eisdecke gestoßen. Er
konnte sich mit letzter Kraft befreien und kam noch irgendwie nach Hause. Einem
Dritten wurden auf dem Schulklo mit einer Rasierklinge die Haare abgeschnitten.
Der Junge hat geblutet wie ein Schwein und war mit seinen Nerven völlig am
Ende. Das waren zwar alles keine Freunde von mir, aber sie gehörten wie ich
dieser Undefinierten rechten Szene in Aurich an. Das alles hätte also auch mich
treffen können. Die Sache war eskaliert, und wir waren einfach zu wenige, um
uns noch weiter wehren zu können.
    Für mich war der Punkt erreicht, an dem ich endlich
aufgeben wollte. Es ging nicht mehr. Ich sah keine Möglichkeit mehr, weiter in
diese Schule zu gehen. Ich lief durch die Stadt mit meinem kaputten Gesicht,
den Arm in der Schlinge, und musste den Spott meiner Mitschüler ertragen, die
mich aufforderten, ordentlich — also mit Hitlergruß — zu salutieren. In jener
Zeit hatte ich mir von meiner Mutter eine Schreckschusspistole ausgeliehen, die
ich fortan immer bei mir trug. Mir war mit einem Mal alles gleichgültig, und
ich hätte sofort geschossen, wenn mir einer auch nur zu nahe gekommen wäre.
    Ich sprach mit der Rektorin meiner Schule und erklärte ihr,
weshalb ich ein halbes Jahr vor dem Abschluss die Schule abbrechen wollte. Sie
schwieg sehr lange, blickte mich ernst an, und ich erwartete fast schon die
obligatorischen hämischen Kommentare zu meiner Gesinnung und dass ich ja
ohnehin keine Zukunft hätte. Aber diese Bemerkungen blieben zu meinem großen
Erstaunen aus. Die Frau war freundlich und bot mir an, mich vom Unterricht
freizustellen. Ich müsse nicht mehr in die Schule kommen, sagte sie, mir aber
den Stoff irgendwie selbst beibringen. Und dann solle ich die Tests schreiben.
Separiert von den anderen Schülern.
    Es war Dezember, kein halbes Jahr mehr bis zu meinem
Abschluss. Ich nahm das Angebot an, büffelte brav allein zu Hause, bestand die
Tests einigermaßen anständig und hatte meinen Schulabschluss. Mit der Hilfe
dieser Lehrerin konnte ich mit 17 Jahren endlich mein eigenes Leben beginnen.
Und ich entschloss mich, meine Familie und meine Stadt zu verlassen, um weiter
das zu suchen, was ich dort bis dahin nicht hatte finden
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