Owen Meany
gehörten zu
den Kongregationalisten, seit wir den Puritanismus überwunden hatten (»seit [39] wir beinahe keine
Puritaner mehr sind«, sagte meine Großmutter immer – das Puritanische hat uns
Wheelwrights ihrer Meinung nach nie ganz losgelassen). Einige Wheelwrights – nicht nur unser Gründervater – waren sogar Geistliche gewesen; im letzten
Jahrhundert, in der Gemeinde der Kongregationalisten. Und der Schritt bestürzte
auch den Geistlichen der Kongregationalkirche, Reverend Lewis Merrill; er hatte
mich getauft, und der Gedanke, die Stimme meiner Mutter im Chor zu verlieren,
machte ihn zutiefst betroffen – er hatte sie schon als Mädchen gekannt, und (so
sagte meine Mutter mehr als einmal) er hatte sie immer ganz besonders
unterstützt, wenn sie ruhig und freundlich darauf bestand, daß mein Ursprung
ihre Privatangelegenheit sei.
Auch mir paßte – wie sich noch zeigen wird – dieser Schritt nicht.
Doch Owen Meanys Art, einer Sache etwas Rätselhaftes zu verleihen, war, etwas
anzudeuten, das zu dunkel und zu schrecklich war, um es offen auszusprechen. Er hatte die Kirche gewechselt, so sagte er, UM DEN KATHOLIKEN ZU ENTKOMMEN – oder besser: Es war
sein Vater, der den Katholiken entkommen und ihnen trotzen wollte, indem er
Owen zur Sonntagsschule und zum Konfirmandenunterricht in die Episkopalkirche
schickte. Wenn Kongregationalisten zur Episkopalkirche übertraten, meinte Owen,
sei daran nichts Besonderes; es war einfach nur ein Schritt nach oben, was das
Zeremoniell in der Kirche anbelangte, – den HOKUSPOKUS ,
wie Owen es nannte. Aber wenn Katholiken zur Episkopalkirche übertraten, war
das nicht nur ein Schritt weg von diesem Hokuspokus,
es war ein Schritt, mit dem man die ewige Verdammnis riskierte. Owen sagte
immer mit bedeutungsschwangerer Stimme, daß sein Vater sicherlich verdammt
werden würde, weil er diesen Schritt eingeleitet hatte, aber die Katholiken
hätten ihnen eine EMPÖRENDE SCHANDE angetan – sie hätten
seinen Vater und seine Mutter entehrt, und das könne nicht wiedergutgemacht
werden.
Als ich mich über das Knien beschwerte, das mir neu war – ganz [40] zu schweigen von der Fülle der Litaneien und
Glaubensbekenntnisse, die in der Episkopalkirche im Gottesdienst gesprochen
werden – meinte Owen nur, ich hätte ja keine Ahnung. Die Katholiken knieten
nicht nur und murmelten eine Litanei und ein Glaubensbekenntnis nach dem
anderen herunter, sie hatten jede Hoffnung, Kontakt zu Gott zu bekommen, derart
ritualisiert, daß Owen nicht mehr richtig beten konnte – DIREKT mit Gott sprechen konnte, wie er sagte. Und dann die Beichte! Ich beschwerte
mich über ganz banales Knien, aber was wußte ich schon von der Beichte? Owen
meinte, der Druck, zur Beichte zu gehen, sei, für einen Katholiken, so stark,
daß er sich oft Sünden ausdachte, nur damit sie ihm vergeben werden konnten.
»Aber das ist doch Blödsinn!« entgegnete ich.
Owen stimmte mir zu. Und was war der Grund für den Konflikt zwischen
den Katholiken und Mr. Meany? fragte ich immer. Owen sagte es mir nie. Der
Schaden sei nicht wiedergutzumachen, das betonte er immer wieder; er sprach nur
von der EMPÖRENDEN SCHANDE.
Vielleicht war es teilweise auf meine Unzufriedenheit darüber
zurückzuführen, die kongregationalistische gegen die Episkopalkirche
eingetauscht zu haben (noch dazu, wo Owen so zufrieden war, den Katholiken ENTKOMMEN zu sein), daß mir das Spiel, Owen Meany in
die Luft hochzuheben so viel Spaß bereitete. Heute kommt es mir vor, als hätten
wir damals gedacht, Owen existiere nur zu unserem Vergnügen; doch in meinem
Fall – besonders jetzt in der Episkopalkirche – kam wohl auch noch hinzu, daß
ich ihn beneidete. Ich glaube, meine Teilnahme an dem üblen Spaß, den wir in
der Sonntagsschule mit ihm trieben, war in einer, wenn auch nur vagen,
Feindseligkeit begründet, und in dem Gefühl, daß wir uns in einer Sache
gründlich voneinander unterschieden: Er hatte einen stärkeren Glauben als ich,
und obwohl mir das im Grunde immer bewußt war, so wurde es mir doch in der
Kirche am deutlichsten bewußt. Ich mochte die Episkopalen nicht, weil [41] sie einen stärkeren Glauben zu haben schienen – oder einen Glauben an mehr Dinge – als die
Kongregationalisten; und weil ich nicht allzu gläubig war, hatte ich mich bei
den Kongregationalisten wohler gefühlt, die nur ein Minimum an Teilnahme von
ihren Gläubigen forderten.
Owen mochte die Episkopalen auch nicht, doch er lehnte sie
Weitere Kostenlose Bücher