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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Autoren: Tad Williams
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WIDERLICHER GERUCH IN DER LUFT.« Der Ozongestank wurde stärker, und zwischen seinen verklammerten Fingern hindurch sah Paul wieder das Licht blitzen. »WENN ICH’S RECHT BEDENKE, RIECHTS ES HIER NACH MENSCH.«
    »W-wie … wie sollte das möglich sein?«
    »WARUM SCHAUST DU MIR NICHT IN DIE AUGEN, MEIN SINGVÖGELCHEN? IRGEND ETWAS STIMMT HIER NICHT.« Die Schritte kamen näher. Der Fußboden vibrierte, und Paul hörte ein mißtönendes Quietschen wie von einer Brücke bei starkem Wind. »ICH GLAUBE, HIER IST EIN MENSCH. ICH GLAUBE, DU HAST BESUCH.«
    »Lauf!« schrie die Vogelfrau. Paul fluchte und rappelte sich inmitten kopfhoher Zweige taumelnd auf. Ein gewaltiger Schatten lag über dem Raum, der das weiche graue Licht von den Fenstern verdeckte und dafür den kalten blauweißen Schein seiner sprühenden Funken verbreitete. Wild um sich schlagend brach Paul durch das klebende Laubwerk, und sein Herz bummerte wie das eines Windhunds. Die Tür … wenn er bloß die Tür wiederfinden könnte.
    »IRGEND ETWAS HUSCHT DA IM GEBÜSCH HERUM.« Die Stimme des Titanen klang amüsiert. »WARMES FLEISCH … UND NASSES BLUT… UND KNACKIGE KNÖCHELCHEN.«
    Paul platschte durch den Teich und hätte fast das Gleichgewicht verloren. Er sah die Tür nur wenige Meter vor sich, aber das mächtige scheppernde Ungetüm war ihm dicht auf den Fersen.
    »Lauf!« flehte die Frau. Noch in seiner Panik war ihm klar, daß sie dafür eine furchtbare Strafe würde erdulden müssen; er hatte das Gefühl, sie verraten zu haben. Er erreichte die Tür und flog förmlich hindurch, so daß er auf dem glatten Steinboden ausrutschte und hinschlug. Er sah das riesige Tor vor sich, und Gottseidank, Gottseidank, es war offen!
    Hundert Schritte, vielleicht mehr, ein zähes Vorankommen, wie in Sirup. Das ganz Schloß erbebte unter den Schritten seines Verfolgers. Schließlich stürzte er durch das Tor nach draußen, wo jetzt aber nicht mehr helles Sonnenlicht, sondern Dämmergrau herrschte. Die obersten Äste des großen Baumes ragten in schier unerreichbarer Ferne über den Rand der Wolken. Paul rannte über das Wolkenfeld darauf zu.
    Das Ungetüm kam angetrampelt, und er hörte die großen Scharniere kreischen, als es die Torflügel zurückwarf. Ein brenzlig riechender Windstoß ging über ihn hin und warf ihn fast zu Boden, und ein mächtiges Brüllen tönte über den Himmel: Der Alte Mann lachte.
    »KOMM ZURÜCK, KLEINER WICHT! ICH WILL MIT DIR SPIELEN!«
    Paul sprintete den Wolkenpfad entlang, und sein Atem war sengend heiß in den Lungen. Der Baum war schon ein bißchen näher. Wie schnell würde er absteigen müssen, um dem Zugriff dieses schrecklichen Monstrums zu entkommen? Es würde ihm doch bestimmt nicht folgen können – wie sollte selbst der große Baum das Gewicht eines solchen Kolosses tragen?
    Die Wolken unter seinen Füßen spannten sich und federten wie ein Trampolin, als der Alte Mann aus der Burg trat. Paul stolperte und fiel vornüber; eine seiner Hände kam neben dem Pfad auf und stieß durch die Wolkendecke wie durch Spinnweben. Er rappelte sich auf und sauste weiter – der Baum war jetzt nur noch wenige hundert Schritte entfernt. Wenn er bloß …
    Eine mächtige graue Hand von der Größe einer Baggerschaufel schloß sich um ihn, ein Ding aus Kabeln und Nieten und rostendem Eisenblech. Paul schrie auf.
    Die Wolken blieben weit unter ihm zurück, als er hoch in die Luft gerissen wurde, wo er umgedreht vor dem Gesicht des Alten Mannes baumelte. Paul schrie abermals auf, und diesmal hörte er einen anderen Schrei, schwach, aber deutlich traurig, aus dem fernen Schloß widerhallen – den Klageruf eines eingesperrten Vogels.
    Die Augen des Alten Mannes waren gewaltige rissige Turmuhrziffernblätter, sein Bart ein Gewirr aus verschlungenen, rostigen Drähten. Er war unglaublich riesig, ein Koloß aus Eisen und zerbeulten Kupferrohren und sich langsam drehenden Rädern, der aus jedem Riß und jedem Schlitz dampfte. Er stank nach Elektrizität und entblößte beim Grinsen eine Reihe grabsteingroßer Betonhauer.
    »GÄSTE DÜRFEN NICHT FORTGEHEN, EHE SIE IN DEN GENUSS MEINER GASTFREUNDSCHAFT GEKOMMEN SIND.« Paul spürte, wie seine Schädelknochen von der mächtigen Stimme des Alten Mannes vibrierten. Als der Riesenrachen sich weiter öffnete, strampelte und zappelte Paul in der stickigen Dampfwolke. »GERADE GENUG FÜR MEINEN HOHLEN ZAHN«, sagte der Alte Mann. Dann schluckte er ihn hinunter.
    Kreischend stürzte Paul in die ölige,
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