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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Autoren: Tad Williams
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Einzelstunde.«
    Sie blickte begriffsstutzig. Er ging ihr knapp bis zur Schulter. »Du … du bist…?«
    » !Xabbu .« Es war ein Klicklaut darin, der klang, als hätte er einen Knöchel knacken lassen. »Mit X und einem Ausrufezeichen, wenn der Name mit lateinischen Buchstaben geschrieben wird.«
    Ihr ging ein Licht auf. »Ah! Du bist…«
    Er lächelte, und um seine Augen bildeten sich weiße Fältchen. »Ein San – manchmal auch Buschmann genannt, ja.«
    »Ich wollte nicht unhöflich sein.«
    »Du warst nicht unhöflich. Es sind nur noch wenige von uns übrig, die das reine Blut haben, das alte Aussehen. Die meisten haben in die Stadtwelt eingeheiratet. Oder sie starben im Busch, weil sie in dieser Zeit nicht leben konnten.«
    Sein Grinsen und seine forsche, genaue Redeweise gefielen ihr. »Aber du hast weder noch getan.«
    »Nein, weder noch. Ich bin Student an der Universität.« Er sagte das mit einem gewissen Stolz, aber auch mit einem Schuß Selbstironie. Er schaute sich nach der verwehenden Rauchwolke um. »Sofern noch eine Universität übrigbleiben wird.«
    Sie schüttelte den Kopf und unterdrückte ein Erschauern. Der Himmel, von treibender Asche besudelt, war dämmrig grau geworden. »Schrecklich ist das.«
    »Ja, schrecklich. Aber zum Glück scheint niemand ernsthaft verletzt worden zu sein.«
    »Tja, tut mir leid, daß unsere Einzelstunde ausfallen muß«, sagte sie und gewann ein bißchen von ihrer lehrerhaften Schärfe wieder. »Ich denke, wir sollten einen neuen Termin ausmachen – ich schau mal auf meinem Pad nach.«
    »Brauchen wir einen neuen Termin?« fragte !Xabbu . »Ich habe nichts vor. Es sieht so aus, als ob wir eine ganze Weile nicht wieder in die Universität könnten. Wie wäre es, wenn wir irgendwo anders hingingen – vielleicht in ein Lokal, wo man ein Bier bekommt, meine Kehle ist von dem Rauch ganz trocken – und unser Gespräch dort führten.«
    Renie zögerte. Sollte sie einfach den Campus verlassen? Und wenn ihr Chef oder sonst jemand sie brauchte? Sie schaute sich auf der Straße und auf der Haupttreppe um, wo es nach einer Mischung aus Flüchtlingslager und Volksfest auszusehen begann, und zuckte mit den Achseln. Hier würde heute nichts Sinnvolles mehr stattfinden.
    »Also gut, gehen wir auf ein Bier.«
     
     
    > Der Zug nach Pinetown fuhr nicht – irgend jemand war in Durban Outskirt auf die Gleise gesprungen oder gestoßen worden. Renie taten die Beine weh, und das schweißnasse Hemd klebte ihr am Leib, als sie schließlich den Wohnblock erreichte. Der Aufzug ging auch nicht, aber das war nichts Neues. Sie stapfte die Treppe hoch, ließ ihre Tasche auf den Tisch vor dem Spiegel plumpsen und blieb vor ihrem Spiegelbild stehen. Erst gestern hatte eine Kollegin in der Arbeit ihren kurzen, praktischen Haarschnitt kritisiert: Eine Frau von Renies Größe sollte sich um ein feminineres Aussehen bemühen, hatte sie gemeint. Sie warf einen finsteren Blick auf die Schmutzstreifen auf ihrem langen weißen Hemd. Wann hatte sie schon die Zeit, sich hübsch zu machen? Und überhaupt, wer achtete schon darauf?
    »Ich bin’s«, rief sie.
    Niemand gab Antwort. Sie lugte um die Ecke und sah ihren jüngeren Bruder Stephen auf seinem Stuhl, wie erwartet. Stephens Gesicht verschwand hinter seinem Netzhelm, und er kippelte von einer Seite zur anderen, in jeder Hand einen Squeezer. Was er wohl gerade erlebte? fragte sich Renie, aber fand es dann besser, es nicht zu wissen.
    Die Küche war leer, nichts in Sicht, was nach einer fertigen warmen Mahlzeit aussah. Sie fluchte im stillen und hoffte, es lag bloß daran, daß ihr Vater eingeschlafen war.
    »Wer is da? Bist du das, Mädel?«
    Wut stieg in ihr auf, und sie fluchte abermals. Seine lallende Aussprache verriet, daß ihr Vater für den Nachmittag einen besseren Zeitvertreib gefunden hatte als Kochen. »Ja, ich bin’s.«
    Nach einem dumpfen Knall und einem Geräusch, das sich anhörte, als würde ein großes Möbelstück über den Boden geschleift, erschien seine hochgewachsene Gestalt leicht schwankend im Türrahmen.
    »Was kommst’n so spät?«
    »Der Zug ist nicht gefahren. Außerdem hat heute jemand die halbe Hochschule in die Luft gejagt.«
    Ihr Vater ließ sich das einen Moment durch den Kopf gehen. »Broderbund. Diese Afrikaanderschweine. Todsicher.« Long Joseph Sulaweyo war einer, der steif und fest an die unauslöschliche Bosheit aller weißen Südafrikaner glaubte.
    »Das weiß man noch nicht. Es könnte sonstwer gewesen
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