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Othello

Othello

Titel: Othello
Autoren: Reclam
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groben Streich bis hin zum Kapitalverbrechen getragen wird. Iagos wiederholter Ausruf »Is ’t possible?« ist Ausdruck dieses Vergnügens an den Leiden der von ihm düpierten Mitspieler. Doch ist Iago mehr als ein bösartig veranlagter Spaßvogel, der von Erfolg zu Erfolg taumelt. Er ist ein Meister der Schauspielkunst, der sich an seinem eigenen Können berauscht. Der Aufstieg, der ihm in der realen Gesellschaft mit ihren starren Konventionen notwendigerweise versagt blieb, ist ihm umso mehr in seiner dramatischen Welt möglich. Hier kann er sein ›vereiteltes Überlegenheitsgefühl‹ (Bradley) befriedigen und sein ›rasendes Verlangen nach Selbsterhöhung‹ (Flatter) stillen. ­Iagos Selbstgespräche sind nicht die reflektierenden Monologe eines Hamlet, sie sind jedoch mehr als dramatisch funktionale Hinweise für die Zuschauer. Iago kann sich hier selbst bewundern: Iago als Narziss.
    Iagos Schauspielkunst wird bereits in der Expositionsszene deutlich. Er kann sich auf sein Gegenüber einstellen und so seine Gesprächspartner leicht für sich gewinnen. Gegenüber Roderigo kann er sich sogar sehr bald die mokante Anrede »sir« erlauben, ohne dass dieser die Ironie bemerkt. In der Verführungsszene (III,3) treibt Iago Othello gegenüber die der eigenen Belustigung dienende Imitation seines Gesprächspartners so weit, dass selbst Othello es bemerkt.
    Iago ist nicht nur Schauspieler, sondern auch Regisseur. Er ist es, der die Tragödie Othello inszeniert und dabei seine Regie für den Zuschauer – und für sich selbst – nach und nach entwickelt und verfeinert. Nur wissen seine Akteure nichts von den ihnen zugedachten Rollen. Neben Handlungen, die aufgrund der vorgegebenen Umstände von selbst ablaufen, weist dieses Stück Episoden auf, bei denen Iago als Regisseur eingreifen muss. In der Täuschungsszene (IV,1) arrangiert er den Handlungsablauf so, dass für den eigens geladenen Zuschauer Othello der sichtbare Beweis für Desdemonas Untreue erbracht ist. Die anderen Regieszenen sind nächtliche Unruheszenen, von der Radauszene vor Brabantios Haus (I,1) über die Unruheszene auf Zypern (II,3) bis hin zur blutigen Überfallszene (V,1). Bei allen drei Szenen muss der Regisseur Iago kräftig nachhelfen, um den gewünschten Effekt zu erzielen.
    Warum hasst Iago Othello? Dass er ihn hasst, kann wohl kaum bezweifelt werden. Wir erfahren bereits davon in seinem ersten Gespräch mit Roderigo, und Iago bekräftigt diesen Hass mit einer deutlichen Emphase am Ende des ersten Aktes. Wieder ist es Roderigo, dem er sich freimütig offenbart:
    Â»I have told thee often, and I tell thee again, and again, I hate the Moor; my cause is hearted«
    (I,3,364–366).
    Als Iago dann allein ist, spricht er am Anfang seines ersten großen Monologs dieselben Worte aus, allerdings mit einer kaum glaubhaft erscheinenden Begründung:
    Â»[…] I hate the Moor,
    And it is thought abroad, that ’twixt my sheets
    He’s done my office; I know not if ’t be true …
    Yet I, for mere suspicion in that kind,
    Will do, as if for surety« (I,3,385–389).
    Dem aufmerksamen Leser wird die hier merkwürdig erscheinende Standardkonjunktion »and« aufgefallen sein. Iagos Intellekt arbeitet assoziativ. Der – vielleicht allzu freimütigen – Selbstoffenbarung folgt eine deutlich impro­visierte Begründung. Sie taucht als ausdrückliches Rachemotiv Iagos noch einmal auf (II,1,290–294). Ist sie deshalb weniger glaubhaft? Das Stück bietet keinen Anhaltspunkt für eine tatsächliche außereheliche Beziehung zwischen Othello und Emilia. Die Kritik betont zudem Iagos große Menschenkenntnis als Argument dafür, dass er mit diesem Verdacht nur ein Pseudoargument vorbrachte. Außerdem, so lesen wir bei mehreren Kritikern, müsste sich Iagos Rache ebenso gegen Emilia richten. Bei objektiver Betrachtung ist der Verdacht somit für Iago ein Motiv, das ihm zufällig einfiel, als er für seinen Hass eine Begründung suchte. Seit Coleridge spricht die Kritik treffend von ›motive hunting‹ als einem wesentlichen Charakterzug Iagos. Iago ist demnach auf der Suche nach Motiven für sein eigenes Handeln. Seine Einfälle wachsen allerdings über ihren anfänglichen Pseudocharakter hinaus, wie die zweite Stelle deutlich zeigt:
    Â»For that I do suspect the
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