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Othello

Othello

Titel: Othello
Autoren: Reclam
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besonders nachdrücklich seinen Glauben an Iagos Ehrlichkeit zum Ausdruck bringt:
    Â»Iago is most honest« (II,3,6),
    Â»And for I know thou art full of love and honesty«
    (III,3,122),
    Â»My friend, thy husband, honest, honest Iago«
    (V,2,155).
    Iago gelingt es, den mit dem Wort »honest« verbundenen Respekt für sich allein zu beanspruchen und Desdemona durch Infragestellung und Verweigerung eben dieses Attributs ins Zwielicht zu rücken. Spätestens seit Empsons Beitrag wissen wir aber auch, dass »honest« zur Shakespearezeit ein im Bedeutungswandel begriffenes Wort war und dabei auf einem neuen, von den Konventionen befreiten Ehrbegriff basierte. Gleichzeitig – und das erscheint uns bei der Frage nach Iagos Motiven besonders aufschlussreich – wurde »honest« vielfach herablassend gebraucht und implizierte dabei eine gesellschaftliche Beleidigung des Tieferstehenden sowie einen Hinweis auf dessen unzureichende Bildung. Wenn Iago mithin derart häufig, wenngleich unbeabsichtigt, von Othello und anderen Figuren beleidigt wird, erscheint uns das zuvor erwähnte Motiv des Klassenhasses um einen Beleg reicher.
    Auch wenn einige Kritiker, insbesondere F. R. Leavis, Motivationsanalysen für unangebracht halten und in Iago nicht mehr als einen dramatisch gelungenen Schurkentyp sehen, so lassen sich Iagos Motive nicht einfach auf grobe Klischees wie ›Werkzeug des Teufels‹ oder ›Inkarnation des Bösen‹ reduzieren. Ein Iago-Darsteller hat deshalb große Schwierigkeiten, will er mehr als nur einen Teil des reichhaltigen Motivkatalogs dieser Figur dramatisch umsetzen. Vielleicht kommt man Iagos Charakter näher, wenn man eine von Bradley eher nebenbei geäußerte These weiter verfolgt: die Tragödie Othello auch als Tragödie Iagos.
    Die Tragik des Titelhelden ist, weitaus mehr als bei anderen tragischen Helden Shakespeares, a priori in seiner ­eigenen Person angelegt. Als Vertreter einer anderen Rasse steht Othello von Anfang an in einem Spannungsverhältnis zur venezianischen Normgesellschaft. In jenem ­anderen venezianischen Stück, in The Merchant of Venice , hatte Shakespeare bereits eine exotische Figur, Morocco, auf die Bühne gestellt. Das Gefälle zwischen weißer Normgesellschaft und exotischem Eindringling diente hier nur der Komik, konnte aber auch, wie Cinthios Novelle bereits zeigte, zur Darstellung tragischer Konflikte genutzt werden. Seit der Romantik wurde Shakespeares noble moor vielfach als Nordafrikaner dargestellt, um seine Distanz zur Normgesellschaft zu verkürzen. Vermutlich wurde Shake­speare durch das Erscheinungsbild und das Auftreten einer ­marokkanischen Delegation und ihres Anführers Abd el-Ouahed ben Messaoud angeregt. Diese diplomatische Mission weilte in der zweiten Hälfte des Jahres 1600 am englischen Hof, um eine Allianz gegen den gemeinsamen Feind Spanien zu schmieden. Shakespeares Truppe, die Lord Chamberlain’s Men, trat während dieser Zeit ebenfalls am Hofe auf. Es ist kaum anzunehmen, dass Shake­speare die Besucher nicht wahrgenommen hat.
    Abd el-Ouahed ben Messaoud ben Mohammed Anoun, 1600/01 Botschafter Marokkos am Hofe Königin Elizabeth I.

    Die den literarischen Text historistisch verzerrende romantische Sichtweise ist allerdings wieder aufgegeben worden. Shakespeares Othello ist eindeutig negroid, nennt Roderigo ihn doch gleich zu Beginn des Stückes »the thicklips«. Vermutlich machte Shakespeare bei Plinius ( Naturalis Historia, übersetzt von Philemon Holland) Anleihen für die Charakterisierung seiner Titelfigur. Othello ist im übrigen auch aus poetischen Gründen schwarz. Das Stück ist mit einer ausgeprägten Schwarzweißmetaphorik versehen, die uns insbesondere in Iagos geistreichem Zwiegespräch mit Desdemona in II,1 auffällt. Während die venezianische Aristokratie nur dann ihre rassistischen Vorurteile zugibt, wenn sie sich, wie Brabantio, geschädigt fühlt, artikuliert Iago gleich zu Beginn der Tragödie ein obszönes Konglomerat aus Rassismus, Sadismus und Sexualität. Wir können im nachhinein Iagos Motive für seinen Hass auf Othello um das der rassistischen Voreingenommenheit ergänzen.
    Othellos erster Auftritt widerlegt völlig das von Iago suggerierte Negativbild. Sein souveräner Umgang mit Brabantio und dem Dogen lässt uns die Möglichkeit eines tragischen Endes
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