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Othello

Othello

Titel: Othello
Autoren: Reclam
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eingeht? Letzterem wäre entgegenzuhalten, dass Iago als Person für alle anderen Figuren bezeichnenderweise uninteressant ist. Dies entspricht der traditionellen dramatischen Konvention, derzufolge nur Personen höheren Standes als Charaktere von Interesse sind. Zu dieser Gruppe rechnet Iago zweifellos nicht, wie die Kritiker einhellig feststellen. Wir erfahren nichts über seine Herkunft, und er ist ganz sicher nicht der Typ des degenerierten Aristokraten, den wir in Falstaff erkennen. Die Stellung seiner Frau Emilia ist ebenfalls nicht genau definiert, doch erscheint sie uns eher als Bedienstete Desdemonas denn als auch nur annähernd gleichberechtigte Figur. Über Iagos Bildung erfahren wir indirekt etwas in seiner ersten Rede. Für den erfolgreichen Florentiner Cassio hat er nur Verachtung übrig, denn dieser hat ihm offenbar einiges an theoretischer Bildung (»book­ish theoric«) voraus, während Iago für sich Erfahrung und Praxis reklamiert. Doch ist es nicht nur Bildungsneid, den Iago für den Aristokraten Cassio empfindet. Es ist ein grober Klassenhass, der den Lebensstil der Aristokratie und die von ihr gesetzten ästhetischen Normen als anstößig empfindet. Iago hat Cassio gegenüber Minderwertigkeitskomplexe. Wenn er ihn als »proper man« bezeichnet, so ist dies vordergründig ironisch, aber gleichzeitig auch Ausdruck seines Neides. Noch deutlicher ist Iagos expliziter Vergleich in Akt V:
    Â»He has a daily beauty in his life,
    That makes me ugly: […]« (V,1,19 f.).
    Iagos Hass auf das Schöne ist ebenso wie sein Aufstiegsmotiv Ausdruck seines diabolischen Charakters, denn geläufiger Auffassung zufolge konnte nur der Teufel ein Interesse an der Zerstörung der Ordnung, die sich als Schönheit manifestierte, haben.
    Bei seinem ersten Auftritt kann sich Iago mehr Ehrlichkeit erlauben als später, denn er hat nur den tölpelhaften Roderigo vor sich. Diese von Shakespeare eigens geschaffene Figur erfüllt im übrigen fast ausschließlich einen dra­matischen Zweck. An ihr kann Iago dem Zuschauer gegenüber seine Manipulationskünste vorführen, und sie dient gleichzeitig zur Steigerung der Spannung, denn Iago erweist sich bald als allzu selbstsicherer Schurke. Roderigo schöpft nach und nach Verdacht und muss schließlich von Iago kaltblütig ermordet werden. Seine dramatische Funktion wird sodann von Emilia übernommen. Sie, Iagos Frau, ist es, die am Schluss die Intrige erkennt und mutig aufdeckt. Iago täuscht sich mithin bei Figuren, die er nicht ernst nimmt.
    Ein weiteres Motiv für Iagos Handeln glaubt etwa Elliott bereits in seiner ersten Aussage zu erkennen. Im Gegensatz zu Cassio ist Iago von Othellos Heirat ebenso überrascht worden wie Roderigo und – so Elliott – dadurch zutiefst gekränkt worden. Das Argument ist, auf sich gestellt und nur auf diese und eine weitere Stelle (I,2,20) bezogen, kaum überzeugend und vermag nur dann sinnvoll zu erscheinen, wenn wir, wie die bereits erwähnte Inszenierung aus den dreißiger Jahren, ein homosexuelles Verhältnis zwischen Othello und Iago unterstellen. Eine von Heilman zitierte psychoanalytische Deutung des Stückes geht davon aus, dass Iago für Desdemona besonders intensive Hassgefühle empfindet, weil sie ihm nicht nur Othello, sondern auch Cassio streitig macht.
    Iagos erste längere Rede endet mit seinem bekanntesten Ausspruch: »I am not what I am« (I,1,65). Von dieser Stelle an weiß der Zuschauer, dass Iagos wahre Identität für seine Umwelt verborgen bleibt. Iago ist Schauspieler. Eines seiner Lieblingswörter ist »show«. In einem der für ihn typischen Selbstgespräche, die gleichermaßen für die Zuschauer wie für ihn selbst bestimmt sind, spricht er gar von »heavenly shows« (II,3,345). Wir haben in diesem Stück mehr als das bei Shakespeare häufige ›Theater im Theater‹, das primär an andere Figuren des jeweiligen Stückes adressiert ist. Allerdings ist es nicht so, dass Iago seine Opfer einfach von seinem selbst inszenierten Drama ausschließt. Im Gegenteil: Er fordert Othello immer wieder auf, zu ›sehen‹, ein bereits in Cinthios Novelle ansatzweise vorhandenes Element. W. H. Auden sieht Iago als ›Joker in the Pack‹, als eine Figur mithin, die die anderen Figuren mit immer neuen Streichen übertrumpft und durch den Erfolg vom
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