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Othello

Othello

Titel: Othello
Autoren: Reclam
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zunächst vergessen. Othello hat zu Beginn des Stückes die realen Höhepunkte seines Lebens erreicht, Desdemona und eine totale militärische Befehlsgewalt. Die Republik Venedig hat ihr Schicksal in seine Hände gelegt. Wir erfahren mehrfach aus Iagos Mund, dass Othello ein edler Charakter ist. Allerdings hat Iago schon eine schwache Stelle entdeckt: Der Mohr ist allzu leichtgläubig. Die Kritik hält Othello für dumm, ungebildet, simpel, naiv und stumpfsinnig, um nur einige Attribute zu zitieren. Die Tragik des Helden liegt mithin in seinem Unvermögen, die reale Welt zu begreifen, begründet. Wird Othello dadurch zur heroischen Figur? Hier gehen die Ansichten der Kritiker weit auseinander. Ausgehend von Cassios Ausspruch »he was great of heart« (V,2,362) unmittelbar nach Othellos Tod, gelangt Flatter gar zu dem Urteil, dass Othellos Ende nicht Elend, Niederlage oder Strafe, sondern ein Sieg sei. Mehr noch: Othello stirbt, so Flatter, den edelsten Tod unter Shakespeares Helden. Bradley hält Othello für den romantischsten aller Shakespeare-Helden, meint damit jedoch eher die Ästhetik der Titelfiguren. Othellos Erscheinung und seine Sprache heben ihn durch ihre Exotik und ihre Poesie deutlich von der Umwelt ab. Was T. S. Eliot für Othellos letzte Rede feststellte, eine bewusste ästhetische Selbstisolierung Othellos gegenüber der Umwelt, mag auch für die ersten Auftritte gelten. Es ist bezeichnend für den anfälligen, von Iago zunehmend infizierten Helden des Stückes, dass er im dritten und vierten Akt zeitweilig die Sprache seines Verführers annimmt, diese dann jedoch dank seiner größeren poetischen Veranlagung noch zu steigern vermag. Othellos sexuell-sadistische Zwangsneurosen übertreffen Iagos Wahnvorstellungen in ihrer Brutalität. In der Mordszene (V,2) hingegen entspricht Othellos Sprache wieder dem, was die Kritik als seine Poesie besonders hervorhebt.
    Eine Othello eher negativ bewertende Interpretations­linie können wir etwa bei Granville Barker (Othello als ›savage monster‹) und auch bei Heilman konstatieren. Für Heilman ist Othello die am wenigsten heroische Figur unter Shakespeares tragischen Helden. Heilman vermeint zwei Entwicklungsstränge in der Konzeption der Titelfigur zu erkennen, die uns recht aufschlussreich erscheinen, die Tragik des geistig Zurückgebliebenen und Elemente des späteren bürgerlichen Trauerspiels. Heilman geht bei seiner ersten These von Othellos naiv-stumpfsinnigem Wesen aus, das auch von anderen Kritikern keineswegs geleugnet wird. Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass Othello, verglichen mit anderen Titelfiguren der shakespeareschen Tragödie, relativ wenige Monologe hat. Zudem sind seine Reden noch weniger reflektierend als Iagos Selbstgespräche. Othello, so Heilman, ist im Vergleich zu Macbeth, Antony und Hamlet ein Kind. Shakespeare war damals offenbar an der Diskrepanz zwischen Alter und geistiger Entwicklung als tragischem Konflikt interessiert und entwickelte dieses Motiv in King Lear bis an die Grenze des Möglichen.
    Heilmans zweite These ist in ihrem Ansatz mit T. S. Eliots bereits referierter Wertung Othellos als Flucht in den Ästhetizismus verwandt, zumal sie ebenfalls vom Ende des Stückes ausgeht. Für Heilman ist Othellos Versuch am Schluss der Tragödie, seine heroischen Taten von einst in Erinnerung zu rufen, ein Indiz einer neuen tragischen Konzeption, die sich schließlich im bürgerlichen Trauerspiel kristallisierte. Wir sollten in Parenthese anmerken, dass Othello bereits im ersten Akt indirekt über seine heroisch-exotischen Abenteuer berichtet. Dieser ›romantische Historiker seiner selbst‹, so Heilman, ist Vorläufer des späteren bürgerlichen Helden.
    Tragisch ist auch Desdemonas Schicksal. Auch sie vermag nicht die drohende Gefahr zu erkennen und wendet sich, wie wir gesehen haben, ausgerechnet an Iago mit der Bitte um Aufklärung. Insofern hat J. McLauchlan recht, wenn sie Othellos mangelnde Kenntnis seiner Gattin mit Desdemonas mangelnder Kenntnis ihres Gatten vergleicht und diese wechselseitige Unkenntnis als tragisches Element des Stückes hervorhebt. Desdemona kann von Iago nur getäuscht, aber nicht verführt werden, weil ihre Liebe zu Othello total ist. Ihr Schicksal ist das Martyrium einer Heiligen, denn sie wird nicht zufällig mit dem Epitheton »blessed« belegt. Desdemona geht
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