Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe
Autoren: Gabriela Jaskulla
Vom Netzwerk:
locker zu erscheinen, und bediente sich der schnodderigen Sprechweise einer gebürtigen Berlinerin. Was hätte sie auch sagen sollen: Herzlich willkommen, liebe, verehrte Frau Kollegin?! Julia gestand sich ein, daß sie so etwas schon gut hätte gebrauchen können. Einen feierlichen oder zumindest festen Händedruck. Ein bißchen Förmlichkeit. Ein bißchen Halt. Sie selbst hatte keine Zeit, ihrerseits irgend etwas Höfliches zu sagen, denn plötzlich wurden sie unterbrochen. Ein Poltern, Lärmen, Drängen...- Himmelherrgott, es war nur eine Frau, die das alles auslöste, und plötzlich schien der gesamte, eigentlich eher großzügig bemessene Anlegeplatz überfüllt. Aber was war das auch für eine Person: gewaltigen Ausmaßes, so erschien es Julia, jedenfalls gut und gerne einen Meter neunzig groß, in mehrere Schichten wallenden schwarzen Stoffes gehüllt, eine imposante Gestalt und eine Stimme wie zahllose Trompeten, aber allesamt erbärmlich verstimmt.
    »Kinders, nu’ laßt mich doch mal durch!«
    Die Person kreiste mit den Armen, als wären es Windmühlenflügel.
    »Marianne!« rief Frau Bult. »Hallo, Marianne, nun hab’ dich doch nich’ so! Wirst deine Gäste schon finden!«
    »Gäste, Gäste! Arbeitskräfte! Ich lasse mir das Leben retten, deshalb habe ich es so eilig!« schnaubte die Person gar nicht unfreundlich und schob ein paar Männer zur Seite.
    »Ehret die Fremdlinge! Das hat schon Moses gesagt. Denn der Herr, euer Gott, ist der Gott der Götter und der
Herr der Herren, der große, mächtige und furchtbare Gott, der niemanden bevorzugt und der kein Bestechungsgeld annimmt, der Recht schafft, der Waise und der Witwe und der den Fremden liebt, so daß er ihm Brot und Kleidung gibt. Und eins und drei macht zehn! Ehret die Fremdlinge!«
    Die »Fremdlinge« standen vor ihr wie begossene Pudel. Es war das blasse junge Paar vom Schiff. Die beiden sahen jetzt womöglich noch ein weniger grauer und verhärmter aus als zuvor. Die Dicke hatte die beiden erspäht und dröhnte:
    »Na, da habe ich ja meine beiden Lieben! Willkommen, willkommen! Auch ihr sollt den Fremdling lieben, denn Fremde seid ihr in Ägyptenland gewesen. Und eins und drei macht zehn, will heißen: Für manche Überraschung ist hier gesorgt. Sorgt ihr nur für das Eure, also das Heutige, denn was der morgige Tag bringt, wissen wir nicht!«
    Mit einer mächtigen Gebärde zog sie die beiden an sich.
    Die Geste erinnerte Julia an die verhaßte Koblenzer Tante, in deren wogendem, nach billigem Eau de Cologne riechendem Busen sie zwei Mal pro Jahr zu ersticken gedroht hatte: an ihrem Geburtstag, zu dem Tante Amelie zwangsläufig immer eingeladen war, und am zweiten Weihnachtstag:
    »Sie ist doch allein, die Arme!«
    Kein Wunder, dachte Julia dann immer.
    Diese enorme Person hier wirkte allerdings, als käme sie auch allein ganz gut zurecht. Sie trug eine herrische Pagenkopf-Frisur, die ihrem mächtigen Schädel etwas Kriegerisches gab. Die wallenden Stoffbahnen entpuppten sich beim näheren Hinsehen als ein schwerer Wollmantel, über den noch ein Cape geworfen war. Eine Art Pelerine darüber, ein Tuch. Der in den Nacken geschobene Hut wurde von einem Band um den Hals gehalten. Mehrere Broschen glänzten wie Tapferkeitsmedaillen. Große, derbe Hände, immer in Bewegung.
Füße, die nicht gehen, nur wandern und stampfen konnten. Jeder Hund, und sei er noch so beherzt, fuhr in ihrer Nähe zusammen. Keine Frage, sie war der Typ Frau, vor dem sich Katzen und Kinder zu Tode erschreckten, und jedes Blumengebinde wäre in ihren Pranken wie ein kümmerliches Gewürzsträußchen verschwunden. Sie lachte über irgend etwas. Es blitzte. In ihr Gebiß hat die Gute investiert, dachte Julia nüchtern. Jede Menge Gold! Unwillkürlich erinnerte sich Julia an den Mann mit dem stählernen Kiefer, der in einem von diesen James-Bond-Filmen den beeindrukkendsten Bösewicht abgegeben hatte. Der hatte bei ihr an irgendeine Urangst gerührt.
    Jetzt erstickte das junge Paar. Oder fast erstickte es. Die gewaltige Marianne hatte es fest im Griff und wandte sich nun ab, die beiden mit sich schleudernd, von hinten sahen die drei aus wie eine Christusfigur am Kreuz mit den beiden Sündern rechts und links … Julia kicherte, und auch Frau Bult lächelte, als hätte sie ihre Gedanken erraten können.
    »Ist das so eine Art Inseloriginal?« Julia traute sich, einen formlosen Ton anzuschlagen.
    »Marianne Brant? Um Himmels willen, nein! Der gehört der halbe Föhrenwald! Also -
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher