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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe
Autoren: Gabriela Jaskulla
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abholen.« Das war der Mann, den Julia sogleich »Ehemann« getauft hatte, denn seine Besorgnis war eingeübt, monatelang, jahrelang. Es ist das Alltagsgesicht, das gesellschaftlich akzeptierte Gesicht der Liebe.
Zuversicht täglich, stündlich, automatisch, beim Aufwachen schon. Sorgsam hatte er darauf geachtet, daß er mit seiner zerbrechlich wirkenden Frau einen Platz möglichst weit entfernt von der anderen jungen Familie fand, möglichst weit weg von Barbiepuppen, Plastikflaschen und unbefangenem Kinderlärm. Und instinktiv hatte sich auch niemand zu den beiden gesetzt. Man mutete sich ihnen nicht zu. Julia fühlte sich in der Nähe solcher Frauen immer zu laut und zu gesund.
    »Warum soll sie uns nicht abholen?« fragte der Mann jetzt weiter. »Sie weiß doch genau, daß wir ohne sie nicht weiterkommen.«
    »Nur deshalb frage ich ja auch. Es ist so komisch, an einen Ort zu kommen, wo’s keinen Bus gibt, keine Straßenbahn, nicht mal ein Taxi.«
    »Vielleicht könnten wir ja ein Pferd kaufen?« versuchte der Mann zu scherzen.
    Sie schwiegen. Sie waren nicht aggressiv. Sie hatten einander.
    »Meinst du, daß wir alles richtig gemacht haben?«
    »Sie hat gesagt, wir können bei ihr anfangen. Das hat uns noch nie jemand gesagt, einfach so. Sie hat nicht mal nach’nem Zeugnis gefragt.«
    »Aber das ist ja gerade das Merkwürdige. Und dann - das Foto!«
    Die Frau kramte in einem Stoffbeutel, die mausbraunen Haare fielen ihr ins Gesicht. Julia sah, daß ihre Hände an den Knöcheln blaurot gefärbt waren, wie bei sehr empfindlichen Naturen, und richtig, jetzt, als sie den Kopf gesenkt hielt, um die Tasche zu durchwühlen, traten auch schon die Adern an den Schläfen hervor.
    »Da!«
    Vorwurfsvoll streckte sie dem Mann ein Foto entgegen. Der zuckte zusammen, als sähe er es zum ersten Mal und
machte keine Anstalten, die Hand auszustrecken. Er schaute nur kurz darauf, wandte dann den Blick ab und machte eine wegwerfende Geste:
    »Jaja, ich habe mich auch erschrocken. Sie ist, glaube ich, schon gewöhnungsbedürftig. Ist jedenfalls die erste Chefin, die mir ein Foto schickt, schon komisch. Und dann so eins! Aber von einem Foto her kann man unmöglich urteilen. Laß uns doch erst einmal abwarten...«
    »Hauptsache, sie holt uns wirklich ab. Das Haus liegt weit weg vom Strand, oben, im Wald.«
    Die junge Frau schien sich wirklich zu fürchten, und Julia fragte sich, was eine so zarte Person auf einer verlassenen Ostseeinsel zu suchen habe und dann noch bei einer offenbar recht eigenwilligen Arbeitgeberin. Wieder kramte die junge Frau in ihrer Tasche.
    »Iris!«
    »Mir ist nur kalt.«
    Eine himbeerfarbene Strickjacke kam zum Vorschein. Als die junge Frau sie angezogen hatte, sah sie aus wie ein sorgsam eingewickeltes Bonbon, halb durchsichtig.

    Julia sah nach draußen. Die Lichter schienen ein bißchen größer zu werden. Die drei Geschäftsleute waren still geworden. Leere Bierseidel, acht oder neun, standen vor ihnen auf dem Tisch, Schaumreste darin, wie festgefroren. Einer hielt die Hand vor die Augen und preßte das Gesicht so nah wie möglich ans Fenster.
    »Leute, wir haben es geschafft: Land in Sicht!«
    »Ahoi!« murrte der zweite unwillig.
    »Männer, daß ich das noch erleben darf.«

    Am Tisch mit den beiden kleinen Mädchen brach Geschäftigkeit aus. Barbie-Pferde, Büchsen, Haarschleifen, Schokoriegel und Walkman - alles wurde hastig mit den Händen
zusammengefegt. Beutel kamen zum Vorschein, Taschen, Rucksäcke.
    »Los, los!«
    »Mady, die fahren schon nicht wieder mit uns zurück, nun verbreite nicht solche Panik!«
    Kein Zweifel, bei diesem Paar herrschte ein anderer Umgangston. Eines der Mädchen zwirbelte gedankenverloren dicke Haarsträhnen zusammen.
    »Mein Gott, Jenny, so hilf doch ein bißchen!«
    »Himmel noch mal, Mady, das ist keine S-Bahn …«
    Das Gesicht der Frau sagte: Du hast auch immer die Ruhe weg, aber sie sprach es nicht aus. Julia rückte ihre Koffer von rechts nach links, dann wieder zurück, gar nichts zu tun zu haben wäre jetzt unpassend gewesen. Sie starrte nach draußen. Die Lichter wuchsen. Am Rand des rußfarbenen Wassers blitzte eine silberne Kante auf. Und darüber wuchsen nun Rechtecke, Quader, gezackte schwarze Pappdrachen: die Umrisse von Häusern und Bäumen. Viele Bäume, überraschend viele, direkt am Ufer. Die Häuser flach geduckt dazwischen. Es sah aus, als führen sie geradewegs in einen Wald. Die Straßenlaternen aus DDR-Zeiten spendeten wenig, aber warmes,
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