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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe
Autoren: Gabriela Jaskulla
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war einer aufgestanden und hatte für sich und die anderen Bier geholt, breitbeinig, den schwankenden Boden offenbar gewohnt, ohne ein Wort.
    Das Licht der Neonröhren flackerte auf den Gesichtern, die sich glichen in ihrer grauen Mattigkeit. Sie kannte solche Gesichter aus der Straßenbahn, solche Männer, unbeweglich, gleichgültig. Nie machten sie Aufhebens von sich, und meist tauchten sie zu mehreren auf, so, als wären sie jederzeit bereit für ein Kartenspiel, eines, bei dem es nicht viel zu verlieren und noch weniger zu gewinnen gab. Sorgenmänner, die sich dicht beieinanderhielten.
    Der Aufenthaltsraum glich einer Küche, von der ein minderbegabter Architekt geglaubt haben mochte, sie sei modern oder würde es über kurz oder lang. Ein Raum, der nie jemandem gefallen hatte, das spürte man, um den sich nie jemand gekümmert hatte. Er erfüllte seinen Zweck, wie
eine Konservendose ihren Zweck erfüllt. Heller, gestrichelter Linoleumboden, auf dem unzählige Frauenabsätze, kratzende, schabende, schleifende Koffer, Kisten, Rucksäcke, Plastikbeutel, Körbe ihre Spuren hinterlassen hatten. Bänke für mehr als zwei, aber weniger als drei Personen, mit niedrigen Tischen dazwischen, an denen man sich beim Hinsetzen unweigerlich die Knie stieß. Leuchtstoffröhren. Ein paar weiße Hängelampen. Gardinen, die sicher noch nie jemand zu gezogen hatte. Warum auch? Eine Treppe führte nach oben. Als Kinder sie hinaufkletterten, schepperte es, und Dreck rieselte von Turnschuhsohlen durch die metallenen Stufen. Keinen kümmerte das. Alle schienen diese Fahrt nur möglichst schnell hinter sich bringen zu wollen.
    Und so wurden Würstchen hastig zwischen zwei Pappdeckel geklemmt, wartete die Bedienung nicht, bis das Bierglas gefüllt war, knüllten die Kinder das Papier ihrer Schokoriegel achtlos neben sich zusammen. Ein Geruch von angelernter Ergebenheit lag in der Luft, durch die Rauchkringel schwebten. Die Verbotsschilder waren neu und wurden nicht beachtet.
    Drei Typen im Gastraum mit karierten Sakkos und rätselhaft geblümten Krawatten dazu. Siegessicher bleckten sie beim Bier die Zähne, redeten einander laut in die geröteten Gesichter: über das prima Geschäft, das sich machen ließe, man müsse es nur richtig anpacken. Und keine Frage, das würden sie! Natürlich gebe es hier keine Infrastruktur wie auf Sylt, bis dahin sei es noch ein weiter Weg, und denkt ja nicht, das Hotel Pirat biete besonderen Komfort - der mittlere meckerte ein anzügliches Lachen -, aber die Voraussetzungen seien nicht schlecht, gar nicht schlecht, und Nachfrage ließe sich schließlich wecken. Daß der Baumann, der alte Baumann gescheitert wäre, habe rein gar nichts zu sagen. Nix! Rein gar nix! Auch habe es mit dessen Beziehungen zur Staatskanzlei ja nicht zum Besten gestanden, und
außerdem: Man dürfe nie vergessen, wie es an der Front riecht! Der älteste der drei lachte immer am lautesten, die Hackordnung blieb gewahrt. Julia gähnte.
    Ein Paar, jung und blaß, hatte so viel Gepäck dabei, als wollte es auswandern - und der Gesichtsausdruck der beiden war zutiefst beunruhigt. Was wußten die, was Julia nicht wußte? Sie beschloß, ein Bier zu trinken.
    Am Nachbartisch versuchten ein Mann und eine Frau, ihre beiden quengeligen Mädchen irgendwie ruhigzustellen. Dem älteren rutschte ständig die Brille aus dem Gesicht, während das kleinere in einer offenbar selbst erfundenen Comic-Sprache auf den Vater einredete: »Uh-ha, moi? Quoi-quoi ju-hu, nana-tuh?«
    Der Vater schien daran gewöhnt, jedenfalls reagierte er nicht. Er hatte die ein wenig formlosen, weichen Züge eines ewigen Studenten, denen auch ein dunkler Bart nichts Entschiedeneres verleihen konnte. Ein Brillengesicht, nur halb erwachsen, redlich. Der Typ Mann, der immer irgend etwas für seine Frau durch die Gegend trägt und gelegentlich auch irgend etwas sagt, einfach, um nicht übersehen zu werden. Dagegen wehren sich solche Männer mit halblauten, undeutlichen Sätzen, die allerdings in fürchterlich quälende, endlose Monologe übergehen können, sobald ein solcher Mann anfängt zu trinken. Dieser hier trank nicht, blickte nur stumm vor sich hin. Die Mutter hatte das angestrengte Gesicht einer Frau, die längst begriffen hat, daß alles schiefgelaufen ist, und die nun verzweifelt versucht, das Beste, also das Schlimmste daraus zu machen. Sie lächelte so mechanisch, wie eine Kirchturmuhr schlägt.
    »Kwitschie-tu-ih? Anabanna-moi-moi jahasuri?«

    Julia seufzte. »Wenn
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