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Ostseeliebe

Ostseeliebe

Titel: Ostseeliebe
Autoren: Gabriela Jaskulla
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harmlose Passanten einfach umnieten dürfe und … - sie wußte später nicht mehr, was sie alles noch gesagt hatte, aber in diesem Moment meinte sie alles genau so.
    Frau Bult hielt sich während Julias Ausbruch ein Taschentuch vor den Mund, gab glucksende Geräusche von sich, sagte aber nichts, und so setzten sie ihren Weg fort. Es hatte zu regnen begonnen, aber das war unwichtig, so, wie sie ohnehin schon aussah.
    Die Forschungsstätte lag etwas abseits von der »Straße«. Mit einem großen Schlüssel öffnete Frau Bult ein sich heftig sträubendes Gartentor. Und dort, hinter dem Hauptgebäude lag Julias zukünftige Bleibe, ein Gartenhaus. Endlich war sie angekommen. Gerade noch schaffte sie es, sich die Schuhe auszuziehen, dann fiel sie erschöpft aufs Bett und in den Schlaf.

2
    Jemand fuhr ihr übers Haar, mit kräftigen, regelmäßigen Bewegungen, sie war nicht eigentlich zärtlich, diese Berührung, aber sie tat gut, wie das umsichtige Striegeln eines geschätzten Arbeitspferdes. Es war genau die Sorte Berührung, von der Julia meinte, sie stünde ihr zu: nicht zu weich, aber auch kein kumpeliges Schulterklopfen. Das regelmä ßige Streicheln ging weiter, sie spürte, wie ihre Kopfhaut durchblutet wurde, von Zeit zu Zeit zog es die Stirn ein wenig nach hinten, nicht unangenehm. Julia versuchte sich umzudrehen, um zu erkennen, wer ihr da Gutes tat, und tatsächlich, sie hätte es sich denken können: Es war Hansjörg Ladestein, der Dichter, ihr Dichter, aber seltsam, er hielt eine Gartenforke, eine Art Rechen in der Hand, und damit bearbeitete er sie, langsam und gleichmäßig.
    »Ich muß das in Ordnung bringen«, sagte er lächelnd. »Aufräumen, meine Liebe, Aufräumen tut not.«
    »Das mußt du gerade sagen, Witzbold!« konnte Julia noch entgegnen, dann wachte sie auf.

    Vögel flogen an ihrem Fenster vorbei, jetzt, mitten in der Nacht. Sie waren weiß und braun und schwarz. Wie kam es, daß sie mitten in der Dunkelheit ihre Farben erkennen und unterscheiden konnte? Einige der Vögel trugen zusätzlich leuchtendgrüne Federn unter ihren Schwingen, andere hatten
mächtige Hauben. Sie flogen und flogen, es wurden immer mehr, dichte Schwärme, die an ihrem Fenster vorbeizogen. War das überhaupt ein Fenster? Trennte sie überhaupt noch ein Glas von den Tieren? Merkwürdigerweise gaben diese keinen Laut von sich, flogen behende, aber ohne Hast, immer in der gleichen Richtung an ihr vorbei. Nur näher kamen sie, immer näher. Schon spürte sie einen eigentümlichen Sog von dem Schwarm ausgehen, er zog sie an. Es richtete sie in ihrem Bett halb auf, die Haare standen ihr zu Berge von einem eiskalten Hauch. Und dann fing das Bett auch schon an, sich zu drehen, erste Schwingen streiften sie: Komm mit, komm mit! Und dann riß es sie mitsamt der Matratze und dem Bettgestell hinaus, hinaus in die Nacht, in die Dunkelheit. Sie konnte nichts sehen, so viele stumme, mächtige Tiere waren um sie herum. Und aufwärts schien es zu gehen und abwärts wieder, und sie glaubte, jemand erlaube sich einen üblen Scherz. Aber trotz der Kälte fror sie nicht. Und dann waren plötzlich weitere Tiere dabei, merkwürdige, die sie aus ganz anderen Welten kannte - Seepferdchen, die irre hin- und herschaukelten, Polypen mit unendlich langen Armen, eine riesige Forelle glotzte sie an. Aber das waren doch Fische … Und richtig, da blubberte es schon in Blasen um sie herum. Wo vorher ein Wehen und Brausen und Flügelschlagen gewesen war, zischte und brodelte es nun, und sie kämpfte mit Armen und Beinen und wunderte sich, daß sie atmen konnte. Und dann war es ganz still. Und sie saß in ihrem Bett. In diesem Zimmer. Auf dem Meeresgrund. Auf einer Art Wassergrund jedenfalls. Alles war tiefdunkelgrün und blau, und jede Bewegung kostete unendlich viel Kraft und ließ sich nur mit großer Verzögerung in die Tat umsetzen. Sie dachte: Ich werde die Beine über den Bettrand auf den Boden setzen! Aber bis ihre Zehen dem Befehl gehorchten und endlich den kalkigen Grund berührten, dauerte es eine ganze Weile, ihre Gedanken
waren schon viel, viel weiter, und sie mußte sie bitten innezuhalten und auf ihren Körper zu warten, weil der sonst vergaß, was sie ihm aufgetragen hatte, er drohte, die Verbindung zu ihr zu verlieren. Man sah die Hand kaum vor Augen, nur kleine Luftwirbel und Blasen in dieser schwebenden Unendlichkeit. Und dann merkte sie, daß ihr Haus auch diesmal keine Fenster hatte, und erschrak. Jeder könnte jederzeit zu ihr
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