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Ostfriesensünde

Ostfriesensünde

Titel: Ostfriesensünde
Autoren: Klaus-Peter Wolf
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entschuldigte sich gleich für seine Nachlässigkeit. Mein Gott, dachte er, liegen mir die Nerven inzwischen so blank?
     
    Als Weller Huberkran sagte, Ann Kathrin habe vorgeschlagen, sie sollten sich den Fall in Jever angucken, verdrehte der bei der Nennung ihres Namens die Augen.
    »Okay«, sagte Weller, »vergiss es. Aber ich fahr hin.«
     
    Udo Kröger hatte inzwischen einen befreundeten Arzt bei sich und zwei Beruhigungstabletten eingeworfen, die ihn aber nur noch nervöser machten. Diese paradoxe Reaktion versuchte der Arzt nun zu beheben, indem er seinem Freund noch eine Beruhigungstablette gab.
    Kröger redete wie ein Wasserfall und wiederholte jeden Satz mehrfach, so als hätte er vergessen, was er gerade gesagt hatte.
    »Ich wusste gleich, dass etwas nicht stimmt. Ich wusste gleich, dass etwas nicht stimmt. Die Fische sind so nervös gewesen. Die Fische sind so nervös gewesen. Es lag kein Zettel dort. Es lag kein Zettel dort. Sie ist in keinem Krankenhaus. Sie hatte aber 1   1 gewählt. Sie hatte 1   1 gewählt.«
    Weller bekam die Nachricht, der Wagen von Lennart Gaiser sei in Jever auf dem Marktplatz gefunden worden.
     
    Weller brauchte mit dem Auto sechsunddreißig Minuten von Aurich nach Jever.
     
    Britta Kröger schaffte es nicht, sich zu bewegen, obwohl die Fesseln ihr Spielraum gelassen hätten. Aber Ansgar scharrte so lange mit seinem Pflaster am Heizungsrohr entlang, bis es sich von seinem Mund löste. An der rechten Seite klebte es noch fest, die linke hing herunter, und Ansgar begann zu kreischen.
     
    Udo Kröger wusste sofort, dass es sein Sohn war. Er rannte mit Weller in den Keller.
    Dort fanden sie ihn nicht.
    Der Arzt kam langsam hinterher.
    Weller begann die Wände abzuklopfen.
    »Was machen Sie? Was soll das?«
    »Ist hier irgendwo eine Wand, die es vorher nicht gegeben hat? Kann es sein, dass Ihr Sohn dahinter ist?«
    »Ansgar! Ansgar!!! Ansgar?!«
    Ansgar hörte die Rufe, und selbst seine scheinbar gelähmte Mutter konnte sich jetzt wieder bewegen, aber sie bekam keinen Ton heraus. Sie bumste mit ihrem Kopf gegen die leere Öltonne, die ein hohles Geräusch von sich gab.
    »Im Heizungsraum! Er ist im Heizungsraum!« Udo Kröger riss die Tür zum Heizungskeller auf und stand vor einer Mauer.
    Weller sprach ganz laut und deutlich: »Ansgar? Ansgar? Du musst keine Angst haben. Wir sind hier. Rück von der Mauer weg. Wir werden sie jetzt durchbrechen und dich da rausholen.«
    »Papa, wo ist mein Papa?«
    »Hier. Ich bin hier, Ansgar! Ist Mama bei dir?«
    »Ja. Er hat sie gefesselt.«
    »Seid ihr wohlauf?«
    Ansgar kannte das Wort ›wohl‹ gar nicht. Er antwortete: »Ich hab Angst, Papa. Ich hab Angst.«
    Weller wählte die Nummer von Huberkran.
    »Ann Kathrin hatte recht. Er hat sich die Frau und das Kind geholt. Ich habe sie gefunden. Er hat sie in ihrem eigenen Keller eingemauert. Er wird eilig und unvorsichtig. Er weiß, dass wir hinter ihm her sind.«
     
    Er hörte die Polizeisirenen. Er wusste, dass sie ihn jetzt suchen würden. Vielleicht war es dumm gewesen, den kleinen Ansgar und seine Mutter im eigenen Keller einzumauern. Aber was spielte das noch für eine Rolle? Er war eben nur ein menschliches Wesen. Und Menschen machten Fehler. Auch wenn der göttliche Finger sie einmal berührt hatte.
     
    Auf dem Arm seines Vaters zeigte Ansgar auf das gegenüberliegende Haus.
    »Da, dadrinnen habe ich die Stimmen hinter der Wand gehört. Ich habe es euch erzählt, aber ihr habt mir nicht geglaubt. Bitte seid nicht böse, dass ich da war. Ich wollte ja nichts Schlimmes. Ich … «
    »Es ist alles gut, mein Sohn. Es ist alles gut«, sagte Udo Kröger und streichelte sein Kind.
    Er hatte die Sache besser überstanden als seine Mutter. Sie lag an einem Tropf im Wohnzimmer auf der Couch. Sie weigerte sich, eine Nacht im Krankenhaus zu verbringen. Sie wollte auf keinen Fall aus ihrem Haus weg. Sie brauchte jetzt ihren Mann und ihren Sohn.
     
    Er hörte ihre Schritte und dann die schweren Hämmer, mit denen sie die Wände aufbrachen. Sein verhasster Vater lebte noch. Seine Stimme war schwach. Er weinte und küsste einen Polizeibeamten. Er hörte das Wort »Nervenzusammenbruch«.
    Wenn die Welt gerecht wäre, dachte er, würden sie dir den Prozess machen, Vater, und nicht mir.
    Er verhielt sich ganz still. Er versuchte, nicht einmal zu atmen. Vielleicht würden sie ihn ja nicht bemerken.
    »Hinter der Wand ist Judith Harmsen! Es gibt eine zweite Wand! Wirklich, ich erzähle keinen Mist.
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