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Oscar

Oscar

Titel: Oscar
Autoren: David Dosa
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ganzes Leben lang eine. Selbst jetzt noch sind entweder Billy oder Munchie bei mir, um mir Gesellschaft zu leisten, aber der Kater da oben ist etwas Besonderes.«
    Billy und Munchie waren die beiden Katzen, die im Erdgeschoss wohnten.
    »Meinen Sie denn, Oscar weiß Bescheid?«, fragte ich.
    »Oh, ich glaube schon. Als mein Mann gestorben ist – das ist schon lange her –, da habe ich mir einen Kater gekauft, um nicht allein zu sein. Ich habe ihn Patches genannt, weil er kleine weiße Flecke auf seinem schwarzen Fell hatte.« Ein kurzes Lächeln trat auf ihr Gesicht, als sie sich an ihn erinnerte. »Tja, und Patches hat immer gemerkt, wenn ich krank war oder wenn meine Arthritis sich gemeldet hat. Dann ist er auf mein Bett gesprungen, um bei mir zu sitzen. Sonst habe ich ihn kaum gesehen. Er hat sich immer irgendwo in meiner Wohnung versteckt – unter dem Bett, im Kleiderschrank oder wer weiß wo.«
    »Was ist aus ihm geworden?«
    Idas Gesichtsausdruck veränderte sich, und ich bedauerte meine Frage.
    »Er ist an irgendeiner Sorte Katzenkrebs gestorben. Ich musste ihn einschläfern lassen.«
    »Das tut mir leid, Ida.«
    »Nein, Dr.Dosa, es ist schon in Ordnung, dass Sie gefragt haben. Ich musste es tun. Manchmal denke ich, wir sind zu Tieren freundlicher, als wir es zu Menschen sind.«
    Schweigend blickte sie aus dem Fenster. Obwohl die Stille mir heikel erschien, wartete ich ab.
    »Wissen Sie«, fuhr sie schließlich fort, »jeden Tag sitze ich hier und warte. Morgens warte ich darauf, dass mir jemand beim Anziehen hilft. Ich warte erst aufs Frühstück und dann aufs Mittagessen. Danach komme ich wieder in mein Zimmer, um ein Nickerchen zu halten oder mir im Fernsehen irgendeine dämliche Serie oder eine noch dämlichere Talkshow anzuschauen. Und dann warte ich aufs Abendessen. Als ich jung war, hatte ich nie Zeit. Ich war immer unterwegs, hatte kaum eine Minute für mich selbst. Und nun habe ich nichts anderes mehr als Zeit.« Gedankenverloren blickte sie in die Ferne. Als sie sich mir wieder zuwandte, spürte ich, dass ihre Stimmung sich verändert hatte.

    »Wissen Sie, Dr.Dosa, fast beneide ich die Patientin da oben. Wenigstens ist sie nun frei von alledem.«
    Um ihre Worte zu unterstreichen, hob sie die Hände, als würde sie einen Beweis vorlegen. Ihre in kaum vorstellbaren Winkeln einwärts gekrümmten Finger waren nutzlos geworden.
    »Früher habe ich unheimlich gern gestrickt. Stundenlang habe ich in meinem Wintergarten gesessen und Schals oder Decken fabriziert. Wer die bekommen sollte, war mir ganz egal. Manchmal habe ich eine Decke für die Katze gestrickt, die ich gerade hatte, oder ich habe die Decken in die Frauenklinik gegenüber gebracht, für die Neugeborenen. Nicht einmal das kann ich mehr tun.«
    Frustriert ließ sie die Hände in den Schoß sinken. Ich betrachtete sie und zermarterte mir das Hirn, um etwas sagen zu können, was ihren Kummer linderte, aber mir fiel nichts ein.
    »Ich vermisse ihn sehr«, sagte Ida plötzlich. »Den Kater, meine ich. Ich vermisse Patches.«
    Ich legte ihr die Hand auf die Schulter, und wir saßen in einvernehmlichem Schweigen da. Sie quittierte die Berührung mit einem Lächeln, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, sie hätte lieber eine Katze neben sich gehabt.
    »Dr.Dosa, Tiere haben einen sechsten Sinn und können mit uns kommunizieren, wenn wir ihre Sprache verstehen. Ich sage Ihnen, Patches ist nicht von meiner Seite gewichen, wenn ich krank war.«
    »Wie war das denn mit Ihren anderen Katzen? Waren die auch so wie Patches?«
    Über Idas Gesicht spielte wieder ein Lächeln. »Also, da war zum Beispiel Ginger. Sie hatte ein sehr zutrauliches Wesen. Dauernd saß sie zu meinen Füßen oder auf meinem Schoß, aber ein Gespür dafür, wann ich sie wirklich brauchte, hatte sie eigentlich nicht. Und Grover, der war sowieso ein ziemlich ruppiger Geselle. Mit Patches hatte der kaum was gemein.«
    »Hm, was man sich über den Kater oben auf der zweiten Etage erzählt, glauben Sie trotzdem, ja?«
    Ida betrachtete mich mit wissendem Lächeln. »Sie sind eigentlich kein Katzenmensch, nicht wahr?«
    »Nicht so recht, obwohl ich mir alle Mühe gebe.«
    Daraufhin brach Ida in Lachen aus. »Ich wusste es! Ich habe gleich gesehen, dass Sie eher ein Hundemensch sind. Sonst wären Sie nicht so nett.«
    Ihr Humor war so ansteckend, dass ich aus ganzem Herzen mitlachte. Das hatte ich dringend gebraucht. »Ich weiß zwar nicht, ob das als Kompliment gemeint war, aber trotzdem
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