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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben
Autoren: Emma Flint
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australischen Getreidepreisen. So analysierte ich ein paar Charts, traute mich aber nach dieser Aufregung nicht, Kundengelder zu riskieren. Lieber nichts gewinnen als viel verlieren, lautete nämlich meine Devise. Heute hatte ich definitiv bereits so einiges verloren. Und wenn ich Pech hätte, würde ich bald noch mehr verlieren. Nämlich meinen Job.
    Drei Stunden später taumelte ich aus dem Büro raus und fuhr mit der Bahn nach Hause – zu meinem Jens, der meistens eine Stunde früher als ich nach Hause kam. Schon als ich die Tür zu unserer Wohnung aufschloss, ging es mir besser.
    Dieser Duft! Ich hatte am Wochenende unsere Sitzmöbel mit einem Antigeruchsspray behandelt und fand wirklich, dass das Raumklima angenehmer war. Es hatte so was Blumiges mit einer leichten Zitrusnote, wirklich toll. Jens und ich liebten es sauber. Von Hausmitteln wie Essig und Backpulver und Zitronensaft zum Putzen hielten wir beide gar nichts. Bunte Flaschen mit großen Reinigungsversprechen mussten es sein. Manchmal gingen wir sogar gemeinsam in den Drogeriemarkt und schnupperten an Scheuermilchflaschen, Fettlösern und Duschkabinensprays wie an Parfümflakons. Immer wenn es eine neue Duftrichtung gab, probierten wir sie aus. Wir mochten Orangen- und Pfirsichduft bei Spülmitteln, aber besonders angetan hatte es uns ein Badreiniger mit dem Geruch von wildem Lavendel, mit dem ich jeden zweiten Tag das Badezimmer und jeden Sonntag, wenn Banjo wieder weg war, alle Böden schrubbte, damit Jens nur ja keinen Grund hatte, sich über unseren vierbeinigen Wochenendgast zu beschweren. Dass Jens so ordnungsliebend war, hatte mich gleich an ihm fasziniert.
    Ich hatte ihn mit neunzehn kennengelernt, als ich im Jahr 2001 bei der Saldo-Bank die Lehre zur Bankkauffrau angefangen hatte. Jens war fünf Jahre älter als ich und wirkte in allem überzeugend. Er half mir, mich zurechtzufinden, erklärte mir die Feinheiten der Kundenbetreuung und entjungferte mich in der Silvesternacht, am noch taufrischen 1. Januar 2002. Er war genau das, wovon ich immer geträumt hatte: ein Mann, der mit beiden Beinen auf dem Boden stand und statt Flausen eine ausgetüftelte Karriereplanung im Kopf hatte. Seinen Haushalt hatte er auch fest im Griff. Er lebte in einem Appartement mit Pantry-Küche, einem Schlafsofa, das er jeden Morgen zusammenklappte, und mit gebügelten und sauber aufgestapelten Handtüchern im Bad. Ich war begeistert!
    Ich hatte auch gerade meine erste eigene Wohnung bezogen, die nur unwesentlich größer war als Jens’, aber über einen Balkon und – was mir sehr wichtig gewesen war – eine Duschwand statt eines klebrigen, vergilbten Duschvorhangs wie zu Hause verfügte. Es war so wunderbar, nicht mehr in dem verfilzten Haus meiner Eltern wohnen zu müssen! Meine ersten Anschaffungen waren ein Dutzend Tupperdosen, Frischhaltefolie, eine ganze Batterie Putzmittel sowie ein leistungsstarker Staubsauger gewesen. Von dem Geld, das ich vom Zeitungaustragen und Babysitten eisern gespart hatte, kaufte ich mir preiswerte Möbel. Tante Marianne schenkte mir eine gebrauchte Waschmaschine und einen Herd. Es war nicht viel, aber es war meins.
    Endlich konnte ich es so sauber haben, wie ich wollte! Meine Eltern hatten neben ihrer nachlässigen Raumhygiene einen recht sorglosen Umgang mit Lebensmitteln an den Tag gelegt und hielten das hermetische Abdecken von Essensresten für überbewertet, was zu einem wenig appetitlichen Anblick im Kühlschrank führte. Wenn ich ihn nicht regelmäßig ausgemistet hätte, hätte man dort stets Kartoffelgratin von vorletzter Woche, Wurstreste vom vergangenen Herbst oder Marmeladereste aus meiner Grundschulzeit finden können. Wenn ich von meinen Eltern eine verantwortungsbewusste Vorratshaltung einforderte, erwiesen sie sich als beratungsresistent.
    Meine Mutter sagte immer nur: »Ja, es ist unglaublich! Nirgends vergeht die Zeit schneller als in der Vorratskammer. Das war der Grund für Einstein, sich der Relativitätstheorie zu widmen!« Sie sagte das so, als wäre es ein geradezu genialer Schachzug, das Zeug vergammeln zu lassen.
    Die zweite echte Plage im Haus meiner Eltern – neben den Katzenhaaren, dem Geruch von dem Hasenstall und meinem Bruder – waren die Motten, die sich meine Eltern mit einem ihrer Souvenirs, einem afrikanischen Wandteppich, eingefangen hatten. Sie hatten sich sehr schnell im Wohnzimmerteppich breitgemacht, da meine Mutter sich weigerte, sie mit chemischen Mitteln zu bekämpfen.
    »Dann bin ich
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