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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben
Autoren: Emma Flint
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Mäuseleichen hielt ich mich natürlich fern. Ich wollte etwas richtig Tolles finden. Als ich auf dem Damm im Gras ein echtes Markstück entdeckte, wusste ich, dass meine Stunde gekommen war. Meine Eltern hatten recht gehabt. Im Freien spielen war das Allerbeste! Ich müsste einfach nur lange genug draußen sein, dann würde ich auf einen echten Schatz stoßen, meine Eltern würden sich gar nicht mehr einkriegen vor Freude über ihre schlaue Tochter, und ich würde mir all die schönen Spielsachen kaufen können, die ich schon immer haben wollte. Wenn das nicht genial war!
    Anfangs suchte ich den Schatz im Sandkasten, entdeckte aber nur die klumpigen Hinterlassenschaften unserer Katzen. Dann lief ich jeden Tag mit auf den Boden gehefteten Augen den Radweg oder den Damm entlang und stürzte mich auf alles, was blinkte. Dabei fand ich aber nur Stanniolpapier aus Zigarettenschachteln, Dosenverschlüsse und anderen Müll. Also verlagerte ich meine Suche auf die Wiese hinter unserem Haus. Es war eine Streuobstwiese, ungefähr zwei Fußballfelder groß, die auf den ersten Blick idyllisch aussah, sich aber bei genauerem Hinsehen als feindliches Terrain entpuppte. Die Schatzsuche war überaus beschwerlich. Überall krabbelte und summte es. Man lief Gefahr, von Wespen, Bienen oder Mücken gestochen zu werden, die harten Gräser schnitten einem in die Hand, Disteln und Brombeeren schlitzten einem Beine und Arme auf, und Brennnesseln taten ihr Übriges. Außerdem war der Boden sowieso zu hart, als dass ich mit dem großen Spaten meines Vaters etwas hätte ausrichten können. Ich kam nicht mal knöcheltief in die Erde rein.
    Frustriert von der Widerspenstigkeit der Erdkruste und genervt von dem zänkischen Dickicht am Boden kletterte ich auf einen Apfelbaum. Der Ausblick war schön, auch wenn ich leider von oben ebenfalls keinen Hinweis auf einen Schatz entdeckte. Das Blödeste aber war, dass ich alleine nicht wieder runterkam. Mein Bruder und meine Kusine Anja, die ein Jahr jünger war als ich, sahen mich, lachten und fingen dann an zu singen: »Auf der Mauer, auf der Lauer sitzt ’ne kleine Wanze.« Dann liefen sie davon, um auf Engels Weide ein paar sonnengetrocknete Kuhfladen zu holen, mit denen sie mich beschmeißen konnten. Ich brüllte um Hilfe.
    Unser Nachbar, Herr Engels, rettete mich schließlich. Das war mir auch lieber, als wenn meine Eltern gekommen wären. Sie hätten es vermutlich als sportliche Herausforderung und moralische Lehre gesehen, mich alleine runterklettern zu lassen.
    »Wer alleine hochkommt, muss auch alleine runterkommen«, sagten sie gerne, genau wie: »Ein paar Schrammen sind das sicherste Zeichen, dass man ein Abenteuer erlebt hat.«
    Sollten sie doch selbst Abenteuer erleben! Machten sie natürlich nicht. Sie saßen gemütlich in ihren Sesseln und tranken Tee. Als mir das eines Tages bewusst wurde, wurde ich stutzig. Ich ließ mir nichts anmerken, aber der Samen des Zweifels an den Aussagen meiner Eltern war gesät.
    Trotzdem gab ich noch nicht auf. Der Schatz wartete irgendwo auf mich; ich wusste es. Doch dann kam der Tag, an dem ich von einer Wespe gestochen wurde und mein Fuß anschwoll wie eine Apfelsine. Meine Eltern meinten, das sei reiner Zufall. Diese Wespe habe vorher von einer mit Pestiziden besprühten Blüte genascht, nur deswegen sei es möglich, dass mein Körper so reagiere.
    Aber Tante Marianne sagte: »Nein, das Kind ist allergisch, und es ist lebensgefährlich, es draußen rumlaufen zu lassen.«
    Meine Mutter hielt dagegen, dass meine ungewöhnliche Reaktion vielleicht auch nur von den Weichmachern in dem fiesen Plastikspielzeug komme, das mir Tante Marianne gekauft und das mich schon vergiftet habe.
    Da ich Sorge hatte, dass meine Eltern mir meine schönsten Spielsachen wegnehmen würden, beruhigte ich alle und behauptete, der Stich sei überhaupt nicht schlimm und niemand solle sich Sorgen machen, es sei bestimmt wirklich nur Zufall gewesen.
    Aber als mir Tante Marianne unter vier Augen sagte, ich könne jederzeit nachmittags zu ihr kommen und in Anjas Zimmer mit ihren Spielsachen spielen, die diese ja aus unerfindlichen Gründen sowieso nicht benutzte, da war ich unheimlich erleichtert. Anjas Spielzeugsammlung war legendär. Sie hatte all das, was ich mir immer erträumt hatte: ein großes Puppenhaus, Pferde samt Kutsche von Barbie und ein Set Putzgeräte mit Besen, Mini-Wischmopp und einem süßen kleinen Plastikstaubsauger, der sogar die typischen Geräusche machte. Aber
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