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Orchideenstaub

Orchideenstaub

Titel: Orchideenstaub
Autoren: Tanja Pleva
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Vögel sehen irgendwie unpersönlich und linkisch aus. Ich werde diese Tapete wieder abreißen lassen“, rief sie jetzt, damit ihr Mann sie unter der Dusche auch hören konnte.
    Die Dusche wurde abgestellt, eine Tür klapperte und dann stand Harry im Schlafzimmer. Er war nass, hatte sich ein Handtuch um die Hüften gewickelt und sah seine Frau leicht genervt an. „Ich kann dich nicht verstehen, wenn mir der Duschstrahl auf den Kopf prasselt. Was sagtest du?“
    „Die Vögel, sie gefallen mir nicht. Wenn ich im Bett liege, möchte ich nicht die ganze Zeit auf diese böse dreinblickenden Monstren starren. Du tropfst den ganzen Teppich voll!“
    Harry sah an sich herunter. Der Teppich unter seinen Füßen hatte sich von der Nässe dunkelgrau verfärbt. Trotzdem blieb er stehen und ignorierte seine Frau, die immer noch auf den Fleck starrte. „Du hast die Tapete doch selbst ausgesucht“, stellte er ruhig fest.
    „Es war mir nicht aufgefallen, dass die Vögel depressiv wirken“, antwortete seine Frau.
    Harry ging näher an die Tapete heran, um sie etwas genauer zu betrachten, dabei hinterließ er eine Spur dunkler Tropfen auf seinem Weg dorthin. „Also ich finde die Tapete sehr schön. Hat was Japanisches.“
    „Meine Güte, die ist ja auch aus Japan.“ Hannah verdrehte die Augen über Harrys Weltfremdheit. Sie waren nie viel gereist, hatten es im Urlaub gerade mal zu den Alpen zum Wandern geschafft. Dafür hatte sie versucht, die Welt in ihr Heim zu bringen. Harrys Kommentare waren über die Jahre immer die gleichen gewesen: Sehr schön oder schick, hatte er zu allem gesagt. Aber im Grunde genommen interessierte ihn das alles nicht. Er hatte seine Praxis, flog gelegentlich zu Vorträgen und mehr war aus ihm nicht rauszuholen.
    „Japan? Ach, tatsächlich. Da lag ich doch richtig.“ Harry rubbelte sich die Haare trocken. „Die Vögel gucken, wie Vögel eben gucken. Normal eben“, erklärte er.
    „Nein, das tun sie eben gerade nicht.“
    „Wie du meinst, mein Schatz.“ Harry verschwand wieder im Badezimmer und stieß die Tür etwas zu schwungvoll zu. Er wischte den beschlagenen Spiegel sauber und betrachtete sich eingehend. Er war alt geworden. Die Geheimratsecken wurden immer größer, er hatte kleine Hängebrüste bekommen und sein Bauch sah aus wie bei einer Schwangeren im fünften Monat. Er fing an sich zu rasieren, doch plötzlich wurde das summende Geräusch seines Rasiers von etwas anderem übertönt. Hinzu kam ein stetes Donnern gegen die Badezimmertür. Musste sie jetzt direkt vor der Badezimmertür saugen? Er hatte schon überlegt das Kabel durchzuschneiden, damit wenigsten eine Woche Ruhe im Haus herrschte, aber dann würde er ihre Launen und Debatten über jeden Krümel und Fusel auf dem Boden ertragen müssen und das wäre wahrscheinlich noch schlimmer.
    Harry legte seinen Rasierer zur Seite und verließ das Bad. Er folgte dem schwarzen Kabel des Staubsaugers, der über eine besonders hohe Saugkraft verfügte und dadurch äußerst geräuschvoll den winzigsten Fusel in sich aufnahm, und zog den Stecker mit einem Ruck aus der Steckdose. Dann ging er zurück ins Bad.
    Keine drei Sekunden später dröhnte der Staubsauger wieder durchs Schlafzimmer. Harry versuchte es zu ignorieren, und an etwas anderes zu denken. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Katarin. Er sprach den Namen leise aus. Drei Tage würde er sich dem Wahnsinn entziehen und mit ihr wegfahren. In aller Ruhe drei Tage Paris. In die Stadt der Liebe.
    „Wie lange bist du eigentlich bei dem Kongress?“, hörte er seine Frau hinter der Tür rufen.
    „Drei Tage, in der Zeit kannst du das ganze Haus wieder umdekorieren.“ Am liebsten würde er sich scheiden lassen. Wie hatte er dieses Leben satt. Zwanzig Jahre Ehe waren für jeden vernünftigen Menschen zu viel.
    „Na, ich werde es kaum schaffen, in der Zeit die Tapete zu entfernen, eine neue auszusuchen und sie anbringen zu lassen.“
    Er öffnete die Badezimmertür und stieg über seine am Boden knieende Frau, die die Wassertropfen aus dem Teppich drückte und ging in sein Ankleidezimmer. Er packte ein paar Hemden ein, griff noch nach zwei Polohemden von Ralph Lauren und legte sie sorgfältig in seinen kleinen Koffer.
    „Wozu brauchst du denn die Freizeithemden?“ Hannah lehnte mit verschränkten Armen vor der Brust im Türrahmen und beobachtete jeden seiner Handgriffe. Bei anderen war es eine Abwehrhaltung, bei ihr ein eindeutiges Zeichen dafür, dass sie gleich einen Angriff
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