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Opferzahl: Kriminalroman

Opferzahl: Kriminalroman

Titel: Opferzahl: Kriminalroman
Autoren: Arne Dahl
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Sie werden uns nicht sehen.«

    »Fragt sich, ob wir sie sehen«, murmelte Nyberg.

    »Scheiße, ist das kalt«, sagte Lena Lindberg.

    »Du hast immer zu wenig an«, sagte Jon Anderson, der sich dick eingepackt hatte.

    »Wir werden sie sehen«, sagte Sara Svenhagen. »Der Fahrweg endet ein Stück weiter oben, wir werden also möglicherweise das Auto nicht sehen. Aber das Boot entgeht uns nicht.«

    »Wenn es denn ein Boot ist«, sagte Nyberg. »Los jetzt«, sagte Sara Svenhagen.

    Sie machten sich auf und verteilten sich mit jeweils fünfzig Metern Abstand. Sara sah Jons Lampe rechts von sich blinken und nach einer Weile auch Gunnars zu ihrer Linken. Sie blinkte zurück. Und wartete.

    Es war eigentlich nicht besonders kalt, aber Stillsitzen ist kalt an sich, und es dauerte nicht lange, bis Sara Svenhagen zu frieren begann. Sie hörte das Rauschen des Meeres, das Schlagen der Wellen, und sie nahm die Düfte des Meeres wahr. Der Mond war halb und ziemlich klein. Seine Spiegelung auf der leicht bewegten Meeresoberfläche blieb unerwartet blass. Und es war so sternenklar, wie sie es lange nicht erlebt hatte.

    Dann und wann blinkte es rechts oder links von ihr. Sie blinkte zurück und befühlte die Dienstwaffe in ihrem Achselholster. Die Pistole war unwahrscheinlich kalt, viel kälter als die Luft.

    Sie fragte sich, warum.

    In ihren Ohrstöpseln war es so still, dass sie für einen kurzen Augenblick befürchtete, das Walkie-Talkie-System sei zusammengebrochen. Sie machte einen Test. Die Gruppe meldete sich, einer nach dem anderen, inklusive individuell ausgeformter Klagen über die Situation im Allgemeinen und die Windböen im Besonderen.

    Sonst war es still.

    Weit entfernt, fast abgekippt über den Horizont, erkannte man das schwache Licht eines Öltankers. Es zog langsam durch das Blickfeld.

    Sie musste sich ein wenig bewegen. Die Arme um sich zusammenschlagen. Wie ihr Mann es zu tun pflegte.

    Sie dachte an Jorge. Was machte er gerade? Saß er mit Paul, Steve und Horst zusammen und kippte Drinks? Kaum. Er musste morgen in Form sein. Wahrscheinlich schlief er. Sie fragte sich, was er wohl träumte. Sie hoffte, dass er von ihr träumte.

    An seine einzelnen Träume konnte sie sich nicht mehr erinnern. In letzter Zeit hatte er viele gehabt und Ängste. Sie wünschte, sie könnte sie aufsuchen. Sie aufsuchen und dann verstehen, was er dachte und fühlte. Wirklich verstehen.

    Die große Tragödie des Lebens ist, dass wir keinen einzigen Menschen je verstehen können, nicht die, die uns am nächsten stehen, und am allerwenigsten uns selbst.

    Sie fasste einen Entschluss. Sie würden zusammen verreisen. Beide hatten noch ein wenig Urlaub offen. Sie würde Isabel nehmen und sich mit ihm an irgendeinem Ferienort treffen, wo sie den Sommer ein bisschen verlängern konnten und nach dem schweren, anstrengenden und merkwürdigen letzten halben Jahr eine wirkliche Wiedervereinigung schaffen.

    Sie war so in ihre Gedanken versunken, dass der Anruf wie ein Schock wirkte. Sie fuhr zusammen.

    Es war Viggo Norlanders Stimme. Viggo ganz links außen.

    »Verdammt, da ist es ja«, zischte er in ihre Ohrstöpsel. »Dunkles Boot, nur zwanzig Meter vom Ufer. Aber ein Stück entfernt. Wir liegen zu weit rechts, alle miteinander.«

    »Wie konnte es sich so lautlos nähern?«, flüsterte sie.

    »Weiß nicht«, antwortete Viggo. »Aber es ist da.«

    »Wie schnell kannst du hinkommen?«

    »Schwer zu sagen. Kann problematisch werden, wenn sie Maschinenpistolen haben.«

    »Arto, du bist am nächsten«, sagte Sara. »Kannst du dich geräuschlos näher an Viggo heranarbeiten?«

    »Glaub schon«, sagte Söderstedt.

    »Ich auch«, sagte Nyberg. »Es ist ziemlich frei.«

    »Können Arto und Viggo die ganze Zeit leuchten, ohne dass die es sehen?«

    »Ja«, sagte Viggo.

    »Glaub schon«, sagte Arto. »Aber ich werde mich gleichzeitig bewegen.

    »Gut, wir sammeln uns und warten ab. Jon und Lena, wir tun das Gleiche. Kommt zu mir her.«

    »Okay«, gaben Jon und Lena von rechts zurück.

    Dann war es eine Weile still.

    Sara gefiel es nicht, stillsitzen zu müssen. Da drüben passierte etwas, und sie konnte es nicht sehen. Aber es war besser, sie waren zwei Gruppen. Außerdem musste sie sich selbst eingestehen, dass genau die richtige Gruppe am nächsten dran war.

    »Scheiße«, sagte Arto im Ohrstöpsel.

    Dann kam nichts mehr.

    »Was ist los?«, fragte Sara.

    Keine Antwort, keine Reaktion. Kein Laut außer dem unablässigen Murren
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