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Opferzahl: Kriminalroman

Opferzahl: Kriminalroman

Titel: Opferzahl: Kriminalroman
Autoren: Arne Dahl
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transparente Kisten frei. Sie waren sämtlich mit etwas Diffusem gefüllt, und erst als eine Wolke am Mond vorübergezogen war, erkannte er den Inhalt.

    Es waren kleine rosa Pillen. Sie leuchteten gleichsam wie von einem inneren hellen Schein und ließen die halb transparenten Kisten erglühen. Es war eine unendliche Menge.

    Eine riesige Menge »kill pills«.

    Arto Söderstedt seufzte tief und legte die Hand auf die Kisten.

    Es war wie eine neu gezeichnete Weltkarte.

     

    *

     

    Paul Hjelm blickte über das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Es hatte tatsächlich eine mächtige Wirkung. Die enormen Betonstelen formten sich zu einer Unendlichkeit. Es war wie eine neu gezeichnete Weltkarte.

    Er stand auf einem strategisch erhöhten Platz gleich außerhalb der Absperrungen zur Ebertstraße, und die unendlich vielen Eingänge in das Monument waren nicht nur mit deutlich sichtbaren Schlagbäumen versperrt, sondern wurden auch von uniformierten Polizisten bewacht. Es war gewiss kein Ort, der leicht zu bewachen war - es gehörte zum Grundkonzept des Architekten Peter Eisenman, dass es durch diese Ansammlung von zweitausendsiebenhundertundelf Betonstelen unendlich viele Wege gab. Jeder Besucher sollte sich sein eigenes Bild des Unüberschaubaren und Unbegreiflichen machen, sollte seinen eigenen Weg finden. Wenn Hjelm richtig rechnete, musste es also gut fünfzig Möglichkeiten von jeder Seite aus geben, mehr als zweihundert Eingänge. Und wie viele Scheidewege, wie viele Kreuzungen gab es eigentlich im Innern? Er rechnete wieder nach, es begann, unüberschaubar zu werden. Zweitausendsiebenhundert denkbare Entscheidungen. Und das ließ die Anzahl möglicher Wege durch die Stelen fast ins Unendliche wachsen. Es war ein würdiges Monument.

    Ebensosehr ein riesiges Gräberfeld wie eine enorme Stadt.

    Sein Blick wanderte die Ebertstraße hinauf zum Botschaftsgebäude. Am Straßenrand sammelten sich mehr und mehr Menschen, und die kreuzende Behrenstraße war schon mit Zuschauern überfüllt. Dabei war noch eine halbe Stunde Zeit, bis der Außenminister der USA an diesem Bauplatz eintreffen sollte, wo ein provisorisches, aber stabiles Podium errichtet worden war. Ein Techniker testete gerade das Lautsprechersystem, und vor den Mikrofonen stand ein Kinderchor. Die Kinder skandierten freimütig: »Eins, zwei, Polizei, drei, vier, Offizier!« Es schallte über das stille Denkmal. Hjelm lächelte ein wenig, sein Blick ging wieder zurück bis zur Kreuzung der beiden Straßen. Jorge Chavez war kaum noch zu sehen, aber mit äußerster Anstrengung konnte Hjelm ihn an der Ecke erkennen. Und als sein Blick die halbe Strecke zurückgewandert war, war auch Kerstin Holm in der Mitte zwischen ihnen zu sehen. Sie sah durch ihr Fernglas zu ihm herüber und winkte. Er winkte zurück. Sehr diskret. Wie ein Agent in geheimem Auftrag.

    Erinnerte er sich wirklich noch daran, wie dieser Ata aussah? Es war so unglaublich schnell gegangen. Deutlich vor sich sah er eine grüne Schirmmütze und eine Sonnenbrille mit goldenen Bügeln. Aber sonst? Würde er ihn identifizieren können, wenn er ihn mit einer anderen Frisur und ohne Mütze und Brille sah?

    Er wusste nicht, wo Roger Stone und Reinhart Vogel sich befanden, aber angeblich hatte er Walkie-Talkie-Kontakt mit ihnen. Bisher hatte er allerdings in den Ohrstöpseln nicht das Geringste gehört.

    Es war ein makelloser Sommertag in Berlin - gerade in der ersten Augusthälfte wurde es so deutlich, dass Europa doch südlich von Schweden lag. Die Sonne stand hoch am Himmel, es war früher Nachmittag, Tauben schwebten hier und dort über den klarblauen Himmel, und kein Wolkenfetzen trübte das Blau. Tatsächlich war es richtig heiß. Paul Hjelm schwitzte. Der Schweiß rann ihm den Rücken herab, und er hätte seinem schlimmsten Feind nicht gewünscht, mit den Achselhöhlen unter seiner Jacke in näheren Kontakt zu kommen.

    Aber genau genommen hatte er wohl keinen schlimmsten Feind.

    Er sah wieder zu seinen schwedischen Kollegen hinüber, die ihm vorhin erzählt hatten, dass sie sich in dieser Stadt wie die Verwandten vom Lande fühlten. Man hatte sie gestern sich selbst überlassen, und sie waren in der Stadt umhergewandert und hatten sich klein gefühlt. Berlin war im Sommer phantastisch. Eine Stadt, die sehr speziell duftete. Sie gingen überall dorthin, wohin man gehen musste, schlenderten Unter den Linden entlang, machten einen Abstecher über den Kurfürstendamm, sahen vom
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