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Opferzahl: Kriminalroman

Opferzahl: Kriminalroman

Titel: Opferzahl: Kriminalroman
Autoren: Arne Dahl
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nicht gesagt, Arvid. Sie haben gesagt, Sie hätten eine Wolke gesehen ...«

    »Um deinen Kopf, mein Freund. Ich sehe sie jetzt. Die Wolke wird sich im Laufe des Tages öffnen, und es wird dir leidtun. Denke an meine Worte, mein Freund. Die Äpfel werden fallen. Gelbrote - weißt du, welche ich meine? Das sind die besten. Es gibt die Roten, mit diesem etwas mürben Fleisch, es gibt die Grünen mit dem harten, saftigen Fleisch, und es gibt die Gelben, mit dem weichen, süßen Fleisch. Und dann gibt es die Gelbroten. Die sind am besten.«

    »Und warum werden sie fallen?«, fragte Paul Hjelm ernst, und erntete den obligatorisch versteinerten Blick von Grundström, der sich weiter unverdrossen an des Pudels Kern heranarbeitete.

    »Sie haben gesagt, Sie hätten eine Wolke gesehen, die aus dem Eingang zur U-Bahn kam. Erinnern Sie sich? Das U-Bahn-Schild zersplitterte auf der anderen Straßenseite - wissen Sie noch?«

    »Ich erinnere mich.«

    »Gut, Arvid. Woran erinnern Sie sich noch?«

    »An eine andere, schönere Welt. Wo niemand eine schwarze Wolke um den Kopf hat. Ich bin dort gewesen. Sie heißt Kongo. Dort wohnen nur die Toten.«

    Niklas Grundström war in Sachen Konzentration das Phänomen der Stockholmer Polizei, das wurde allgemein anerkannt. Er war in der Lage, Verhöre unter den anstrengendsten Umständen durchzuführen, und er besaß eine geradezu phantastische Fähigkeit, bei der Sache zu bleiben und sich von keinerlei äußeren Dingen beeinflussen zu lassen. Deshalb fand Paul Hjelm es sehr interessant, Grundström unter den gegebenen Umständen zu beobachten. Es ging nicht darum, ohne einen Schweißtropfen auf der Stirn den Teufel im Vorhof der Hölle zu verhören oder sich in einem Graben in Sarajevo vor verirrten Kugeln zu ducken, während man gleichzeitig versucht, einem verschreckten Kind die Position des Heckenschützen zu entlocken. Nein, hier ging es darum, wie Niklas Grundström sich gegenüber mentalen Randzonen verhielt.

    Paul Hjelm lachte.

    Innerlich.

    Äußerlich wirkte er beinahe so ungerührt wie sein Chef.

    »Sind Sie im Kongo gewesen?«, fragte er.

    »Ja«, sagte Arvid und richtete seinen überirdischen Blick zum ersten Mal auf ihn. Es fühlte sich an, als wollte er ihn aufspießen.

    »In Katanga vielleicht?«, fuhr Hjelm fort. »Anfang der Sechzigerjahre?«

    Der gelbweiße Arvid sank irgendwie in sich zusammen. »Es waren Neger«, sagte er.

    Grundström sah ein bisschen erregt aus. Er verpasste seinem Untergebenen eine Kaskade von Blicken, jedoch ohne größere Wirkung.

    »Und dort wohnen nur die Toten?«, fragte Hjelm weiter. »Wie viele Neger haben Sie getötet? Und warum?«

    Arvid richtete sich auf und sah wieder hoch. Sein Blick war jetzt ein bisschen kaputter, hatte aber immer noch eine gewisse Schärfe.

    »Du hast auch eine Wolke um den Kopf gehabt, mein Freund«, sagte er heiser. »Sie war viel schwärzer als die von meinem anderen Freund, aber jetzt ist sie weg. Du hast sie weggekriegt. Wie hast du das gemacht?«

    »Wie groß ist deine eigene Wolke, Arvid?«, fragte Hjelm.

    Zum ersten Mal lächelte Arvid Gelbweiß. Ein fast zahnloses Lächeln. Dabei wäre totale Zahnlosigkeit besser gewesen als diese Ruine von Zahnreihen, die auf unergründliche Weise erhalten geblieben war.

    »Sie ist groß«, nickte er. »Sehr groß.«

    »Klar erinnerst du dich an dies und das, Arvid. Du erinnerst dich an das U-Bahn-Schild, das auf die Straße fiel. Du erinnerst dich sicher an das Splittern, als es kaputtging.«

    Und an die kleine Geste, mit der er nun das Wort an Niklas Grundström übergab, würde sich Paul Hjelm immer als an einen der Höhepunkte in seinem Berufsleben erinnern.

    Innerlich.

    Grundström musste tatsächlich ein wenig blinzeln - fand aber schnell das Gleichgewicht wieder und übernahm.

    »Was hast du gesehen, Arvid, als das Schild kaputtging? War da ein Mann?«

    Arvid sah ihn nicht an. Er starrte geradewegs durch ihn hindurch. Und durch die Wand, durch die Mauern des Polizeigebäudes, hinauf in den verstecktesten Winkel des Himmels. In die schwärzesten Wolken.

    Und sagte:

    »Da war ein Mann.«

    Grundström rümpfte kurz die Nase.

    »Erzähl uns von dem Mann.«

    »Er ging zur U-Bahn. Und dann, als die Wolke kam, drehte er sich um und ging weg.«

    »Und das war alles?«

»Er haute ab.«

    »Haute ab?«

    »Verduftete. Verzog sich.«

    »Vielleicht hatte er nur Angst? Die Welt explodiert, und er läuft weg.«

    »Nein, er haute ab. Er haute vor der
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