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Opfer fliegen 1. Klasse

Opfer fliegen 1. Klasse

Titel: Opfer fliegen 1. Klasse
Autoren: Stefan Wolf
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Walkie-Talkie.
    „...ist es ja nun leider so“,
sagte Nadja zu Gaby, „daß wir nie auf Rosen gebettet waren. Mutti ist eine
alleinerziehende Mutter und arbeitet hart, seit ich denken kann. Als
Krankengymnastin. Und die werden schlecht bezahlt. Trotzdem darfst du nicht
denken, daß sich Mutti mit dem Leipel wegen seines Geldes eingelassen hätte.
Nein! Sie hat ihn wirklich gern. Er ist sehr elegant und sieht noch gut aus
trotz seiner Jahre. Wie krank er ist, merkt man nur, wenn er eine Treppe
raufsteigt. Dann geht’s ihm ganz schlecht, und er fährt eigentlich nur noch
Lift.“
    „Ein gesundes Herz ist das
Kernstück jeder Gesundheit“, sagte Gaby. „Deshalb werden Tim und ich auch nie
rauchen und immer sportlich aktiv sein.“
    Sehr richtig! dachte Tim
lächelnd.
    „Leipel glaubt, daß er bald
sterben wird“, sagte Nadja. „Echt?“
    „Ja, er hat zu Mutti gesagt, daß
er es fühlt.“
    „Muß ja furchtbar sein.“
    „Er sagt, 70 wäre kein Alter.
Er wäre gern noch 20 Jahre da und mit Mutti zusammen.“
    „Kann ich verstehen. Heutzutage
ist 70 wirklich kein Alter. Die Medizin vermag doch soviel.“
    „Bei Leipel nicht, Gaby. Der
ist ausgebrannt. Und jetzt komme ich auf das, was ich dir eigentlich sagen
will. Weil doch dein Vater Kommissar ist bei der Kripo. Aber ihm, das bitte ich
dich, darfst du vorläufig nichts davon sagen.“
    Gaby schwieg. Tim schmunzelte.
Zwischen seiner Freundin und ihren Eltern besteht unverbrüchliches Vertrauen.
Gaby versprach also nichts. Andererseits war sie neugierig — und schwieg
deshalb vieldeutig.
    „Der Leipel“, fuhr Nadja fort,
„hat keine Kinder und keine näheren Verwandten. Er wird ein großes Vermögen
hinterlassen. Nicht, daß Mutti sich Hoffnungen macht. Aber ein bißchen was darf
sie erwarten, nicht wahr? Schließlich ist sie seine Freundin, und sie kümmert
sich um ihn.“
    „Logo“, sagte Gaby. „Und ihr
könnt es gebrauchen.“
    „Eben!“
    „Aber?“
    „Leipel hat so eine komische
Bemerkung gemacht. Zu Mutti. Sie macht sich Sorgen deshalb. Aber sie hat nicht
den Mut, ihn direkt zu fragen. Denn er ist so ein Macho-Typ, der nur alles nach
seinem Kopf macht.“
    „Diese Typen habe ich dick“,
Gaby schnaubte durch ihr anmutiges Näschen, was durchs Walkie-Talkie sehr
komisch klang. „Was für eine Bemerkung hat er denn gemacht?“
    „Leipel hat gesagt, Mutti
bekäme alles — nach seinem Ableben. Alles, was er besitzt. Und sie solle sich
nicht täuschen lassen, wenn es zunächst ganz anders aussähe.“
    „Wie soll man das verstehen?“
    „Er hat doch ‘ne Ex. ‘ne
Exfrau. Die Geschiedene. Er nennt sie nur das ,Mistweib’. Sie heißt Irene
Flörchinger. Sie muß ein richtiges Biest sein.“
    „Und die hat Ansprüche an seine
Hinterlassenschaft?“ fragte Gaby.
    „Ja, hat sie offenbar. Und der
Leipel sagte nun zu Mutti, daß er dem Mistweib alles vermachen muß, daß Mutti
aber trotzdem alles kriegt.“
    „Ziemlich unverständlich.“
    „Ja, eben. Und irgendwie
kriminell.“
    „Kriminell?“ Gabys Stimme stieg
eine Oktave hinauf. „Ja. Und das sage ich dir auch nur im Vertrauen. Vielleicht
kannst du mir was raten. Weil doch bei euch zu Hause bestimmt viel über
kriminalistische Sachen geredet wird.“
    „Manchmal ja, meistens nicht.
Mein Papi trennt den Beruf vom Privatleben. Und sein Privatleben sind wir,
seine Familie — Mami und ich. Und Oskar, unser Hund.“
    „Super! Sowas hätte ich mir
immer gewünscht. Aber ich habe nur meine alleinerziehende Mutti. Obwohl sie
spitze ist. Ohne sie wäre ich hin. Dann wäre ich Kurt oder Patrick
ausgeliefert. Oder beiden zugleich.“
    Gaby schien zu lachen. Dann
sagte sie: „Was ist kriminell bei Leipel?“
    „Eigentlich nur eine Bemerkung.
Die hat er gemacht — das war Ostern. Er war ziemlich betrunken. Nicht, daß er
säuft. Aber wegen seiner schwachen Gesundheit verträgt er nicht viel Wein. Er
war also... äh, gelockert, nein, enthemmt. Und da hat er zu Mutti gesagt: Du,
Susi, hat er wörtlich gesagt, das Mistweib hat mich in der Hand. Sie hat mich
in der Hand und könnte mich zerquetschen. Ich muß springen, wenn sie pfeift.
Ja, so hat er’s gesagt.“
    Tim, der Lauscher, pfiff durch
die Zähne, sah in diesem Moment, wie sich Gaby aus der Bauchlage umdrehte,
aufsetzte und — offenbar angelegentlich — zu ihm herblickte.
    Die Entfernung war zu groß, um
in ihren Vergißmeinnicht-Augen zu lesen. Aber sicherlich stand dort ein
bedeutungsschwerer Ausdruck. Also wußte sie, daß er
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