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Opfer fliegen 1. Klasse

Opfer fliegen 1. Klasse

Titel: Opfer fliegen 1. Klasse
Autoren: Stefan Wolf
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nur vergessen, auf die Aus-Taste zu drücken, als sich Nadja zu ihr
setzte?
    Tim hielt beides für möglich
und hatte keine Gewissensbisse beim Lauschen.
    „Warum liegen wir noch hier?“
maulte Klößchen. „Warum gehen wir nicht zu Pfote? Dort unter der Ulme ist
Schatten. Und die Walkies haben wir ja nun lange genug ausprobiert. Ist doch
Kinderei und
    Sein Gesülze endete in einem
Aufschrei. Denn Karl hatte ihn auf die rechte Wade geklatscht.
    „Mann, Willi! Siehst du nicht?
Nadja hat sich bei Gaby angewanzt. Und Tim belauscht die beiden.“ Karl grinste.
„Tim, was reden sie denn? Reden über uns, wie? Ziehen sie uns durch die
Kuhkacke?“

    „Nein.“ Tim hielt das Ohr an
die Gesäuselquelle. „Seid mal leise! Ich glaube, die Sache ist ernst.“
    Klößchen hatte sich
aufgerichtet und spähte über etwa 200 schwimmbeckennasse oder eingeölte Leiber
zur Ulme.
    „Ach so, die Nadja Kühnert“,
meinte er mit lauem Interesse. „Dann fehlen nur noch Kurt und Patrick — und das
Gebalze kann losgehen.“
    Damit hatte er recht. Die
beiden waren zwar Freunde, aber Rivalen was Nadja betraf. Und die konnte sich
nicht entscheiden, wem sie ihre Gunst schenken sollte. Am liebsten wäre sie mit
beiden gegangen.
    Drüben bei den Mädchen war für
einen Moment Stille. Nadja hatte Gaby ihr Problem auseinandergesetzt, und Tims
Freundin übte sich jetzt in Betroffenheit oder sowas ähnlichem. Der
TKKG-Häuptling nahm die Gelegenheit wahr.
    „Herhören, Jungs! Ich sag’ mal
die Fakten an. Nadjas Mutter gehört zu den Überlebenden des Flugzeugunglücks
von vor fünf Jahren bei Malakaputtschino in Südafrika. Damals, sagt Nadja,
haben nur 22 Passagiere wie durch ein Wunder überlebt. 148 sind tot. Diese 22
sind alles Deutsche. Es war eine Chartermaschine mit Urlaubern. Absturz aus
2000 Meter Höhe mittenrein in ein Waldstück und...“
    „Ist uns bekannt“, sagte Karl.
„Ich meine, was das Unglück betrifft. War ein Attentat. Ein Anschlag. Ein
170facher Mordversuch mit 148 Morden. Eine Bombe war an Bord, wie man später
festgestellt hat. Aber die Sache wurde nie aufgeklärt.“
    „Exakt“, nickte Tim. „Doch um
diese Chose geht es bei Nadja und ihrer Mutter nicht in erster Linie, sondern
um die Folgen. Und die sind: Um nach diesem Schockerlebnis seelisch wieder auf
die Hufe zu kommen, treffen sich die Überlebenden — alle 22 — regelmäßig. Im
ersten Jahr nach dem wiedergeschenkten Leben war’s alle drei Monate. Dann immer
weniger, jetzt nur noch jährlich, nämlich am Tage des Unglücks. Am 3. Mai.
Dieses Jahr konnten etliche an dem Datum nicht aus beruflichen Gründen, und das
Treffen wurde verschoben auf morgen. Morgen abend im Grandhotel ,Königssohn 1 .
Das nur nebenbei. Ist nämlich auch nicht das Problem.“
    Er lauschte ins Gerät. Und
hörte Gabys Stimme.
    „...ja, ich verstehe“, sagte
Pfote mitfühlend. „Ich verstehe dich wirklich, Nadja.“
    „Sowas sage ich auch nur dir“,
erwiderte Nadja mit ihrer etwas zu dunklen Stimme.
    Dann hingen offenbar beide
wieder ihren Gedanken nach.
    „Worum geht es denn nun?“
fragte Klößchen und versuchte, über die Schultern blickend, seine Waden zu
betrachten.
    „Susanne Kühnert, die Mutter,
nimmt also teil an dem Überlebenden-Treffen. Ein anderer Teilnehmer heißt Armin
Leipel. Er ist 70, ist seit damals geschieden, ist schwer herzkrank und
sozusagen der Lover von Mutter Susanne. Die könnte zwar seine Tochter sein —
und Nadja das Enkelkind — , aber jeder hat ja seinen eigenen Geschmack, und das
ist auch nicht das Thema.“
    „Sondern?“ fragte Karl. „Bis
jetzt hast du uns nur gesagt, was nicht das Thema ist, nicht das Problem.“
    „War nötig“, erwiderte Tim,
„als Vorab-Info zum besseren Verständnis. Dieser Leipel ist nämlich
schweinereich. Ein Industrieller. Große Firma. Nadja weiß nicht was, aber Kohle
fehlt nicht. Leipel liebt Mutter Susanne bis zum Wahnsinn, steht aber — wie
gesagt — mit einem Bein schon im letzten Entsorgungscontainer.“
    „Wo?“ fragte Klößchen.
    „Im Grab.“
    „Tut mir leid.“
    „Du kennst ihn doch gar nicht.“
    „Aber sein Schicksal ist
gräßlich. Erst das Unglück mit den seelischen Platzwunden. Und jetzt krank auf
den Tod — sowas macht einen Menschen doch fertig.“
    „Du sagst es. Aber da ist noch
was, denn das will Nadja jetzt... Hah! Jetzt redet sie wieder. Pst! Leise!
Sonst verstehe ich nichts.“
    Wieder hielt der TKKG-Häuptling
sein Ohr — es war das linke — an das
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