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Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Titel: Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
Autoren: Stephan Orth
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Doch oft brechen wir wieder durch und baden von neuem. Da sehe ich, dass mein Schlitten schon fast verschwunden ist. Er liegt auch am weitesten in der aufgebrochenen Gegend. Es schauen nur noch die grünen Schlittensäcke oben ein wenig raus. Da heisst es schnell machen, denn die Kochkiste ist auf meinem Schlitten. Ich nehme die Sondierstange aus Bambus mit und gelange auch mit einige Male durchbrechen an den Schlitten. Dort finde ich mit der Sondierstange in etwa 2 m Tiefe Grund. Ich knie, mich auf die Sondierstange stützend, auf Schneeschuhen, die über die Scholle und den Schlitten gelegt sind, im eisigen Wasser und schneide mit dem Messer unter Wasser die an den Schlitten gebundenen Säcke los. Auf einmal geht die Sondierstange ins Grundlose. Sie war bloss auf eine dünne Eisschicht gestützt, die durchbrach, und ich liege wieder ganz im Wasser. Es gelingt mir wieder, mit Hülfe der Schneeschuhe mich halb über Wasser zu halten. Der Schlitten ist jetzt zu tief drin zum losschneiden der Säcke. Da muss ich die letzten Pemikan 25-Pfund-Büchsen einzeln oben aus den Säcken holen und auf das festere Eis schmeissen, wo sie Hoessli in Empfang nimmt. Endlich soweit fertig, dass der Schlitten am Seil rauszuziehen ist nach 3 kalten Stunden. Ich bemerke erst jetzt, dass ich mir unter Wasser mehrmals beim Losschneiden der Säcke in die gefühllosen Finger geschnitten habe und stark blute; mein linker Daumen ist schon unbeweglich und weiss. Durch Massieren und Reiben auf dem blossen Bauch gelingt es noch mit der Zeit, das Blut wieder in Umlauf zu bringen. Das Gefühl kehrt in Form von heftigem Schmerz zurück.
    Jetzt aber schnell das Zelt aufschlagen und in die Schlafsäcke. Die andern ziehen sich ganz um und neue Unterkleider an. Ich will sie noch sparen und begnüge mich damit, die Eispanzer auszuziehen, um die Unterkleider im Schlafsack auf dem Leib zu trocknen. es ist nicht grad behaglich, aber schlafen kann ich doch. Das war ein Abenteuer, das die Reise ja nur verschönert, da es gut abgelaufen ist.

Januar 2011
Hamburg

    Ein Abenteuer, das die Reise nur verschönert, da es gut abgelaufen ist?! Es gefällt mir gar nicht, wie leichtfertig mein Opa nicht nur mit den Regeln der Orthografie, sondern auch mit seinem Leben umgeht – und damit auch mit meinem. Wenn er da draußen in einem arktischen Eissee erfriert, bringt er nicht nur sich um, sondern verhindert auch meine Existenz. Was für ein Egoist.
    Andererseits kann ich wohl kaum einen Tagebucheintrag von ihm erwarten, der von der Zukunft handelt: »Wenn ich hier sterbe, kann ich nicht in 38 Jahren in zweiter Ehe eine Tochter haben und keinen Enkel in 67 Jahren, die in 99 Jahren zusammen nach Grönland fliegen, um auf einen nach mir benannten Berg zu steigen.«
    Von meiner Mutter weiß ich, dass mit »Q.« der Expeditionsleiter Alfred de Quervain gemeint ist und mit »Hü« Roderichs gut ein Jahr jüngerer Freund Karl Gaule. Woher der seltsame Spitzname kommt, kann sie leider nicht sagen. Auch weiß sie nicht, was den jungen Architekturstudenten dazu brachte, in einer kaum erforschten Eiswüste sein Leben aufs Spiel zu setzen. »Schon als Kind faszinierte ihn die Arktis – und wahrscheinlich wollte er beweisen, dass er ein ganzer Kerl ist«, mutmaßt meine Mutter am Telefon. Sie hat Opa nur in ihren ersten fünf Lebensjahren erlebt. Doch dank der Briefe und alten Aufzeichnungen, die sie studiert hat, kennt sie die Familiengeschichte besser als alle anderen.
    Roderich wurde in Würzburg geboren. Als er ein Jahr alt war, zog die Familie nach Zürich. Er hatte fünf Schwestern – Hildegard, Gisela, Brunhilde, Ingeburg und Waltrut – und den acht Jahre jüngeren Bruder Roland. Mit ihm verstand er sich am besten. Die Familie genoss die Privilegien des aufstrebenden Mittelstandes. Adolf, der Vater, war ein erfolgreicher Augenarzt, als Erfinder der Kontaktlinse ein echter Pionier seines Fachs. Er setzte hohe Erwartungen in seinen Ältesten. Am liebsten wäre es ihm gewesen, Roderich – »ruhmreich« bedeutet der Name auf Althochdeutsch – hätte eine Militärlaufbahn eingeschlagen, um heldenhaft für das Vaterland zu kämpfen. Er schickte ihn in jungen Jahren zum Fechten, Turnen und Reiten. Der Junge bewies große Geschicklichkeit, sogar in Kombinationen dieser Disziplinen: Alte Fotos zeigen ihn im Handstand auf dem Pferdesattel.
    Auch handwerklich war er so begabt, dass er Reparaturen im Haus oftmals selbst ausführte, in seiner Werkstatt im Garten hatte er einen
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