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Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)

Titel: Opas Eisberg: Auf Spurensuche durch Grönland (German Edition)
Autoren: Stephan Orth
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eigenen Schmiedeofen und eine Drehbank.
    Weniger willkommen war dem Vater die künstlerische Ader seines Sohnes, der ständig zeichnete und an Skulpturen herumhämmerte. Dass er in der Schule ein Jahr wiederholen musste, empfanden die Eltern als Katastrophe. »Damals habe ich dem armen Jungen über sein Sitzenbleiben so bittere Vorwürfe gemacht, daß er ganz aufgelöst war in Verzweiflung«, schrieb sein Vater Jahrzehnte später in seinen Memoiren. »Ich fürchte, er hat mir das, wenigstens im Unterbewußtsein, bis zum heutigen Tag noch nicht verziehen.«
    Die Mutter zeigte mehr Empathie für die Kunstbegeisterung ihres Sohnes. Sie selbst zeichnete, war eine gesellige Frau, die aber auch einen Hang zum Melancholischen hatte. Für sie war Roderich »prächtig im Charakter, aber ein Sonderling« und eine »ausgesprochene Einspännernatur«, wie sie in ihrem Tagebuch notierte.
    Und sie bedauerte, dass er als junger Mann sehr nachlässig war, was seinen Kleidungsstil anging: »Eben stand Roderich da, wie ein schlanker Seiltänzer, vielmehr wie ein armer Geiger, in zu engen u. zu kurzen blauen Hosen u. geigte mir in eindringlichsten Tönen sein Schicksal vor – nemlich seine Kleidernoth – u. rief dazwischen: ›ich bin ein armer Geiger mit einem glänzenden Hintern‹ – er meinte seine abgewetzte Hose – und weiter fluteten die Töne. Wir hatten nemlich vorher eine lange Unterhaltung darüber, daß er sich nothgedrungen eine conventionelle Hose zulegen – sich im übrigen Architektenkleidung zulegen muß – um Carrière zu machen«, schrieb sie im November 1910. Vier Monate später beschäftigte sie sich erneut mit seinem Äußeren: »Roderich schildert immer mit großer Genugthuung, wie er stets beim Besuchemachen, sei es hier od. in fremder Stadt bei Verwandten od. Freunden, zunächst als Stromer od. Halunke vor der Thüre stehen gelassen od. mit einem mißtrauischen: ›Was wünschen Sie?‹ durch den Spalt der Thüre nach seinem Begehr gefragt würde. ›Ich muß doch was sehr Lumpenhaftes an mir haben‹ – dabei lacht er übers ganze Gesicht u. freut sich dabei.
    Er erzählt mit Vorliebe sein Erlebnis in München, wo er an einer Buchhandlung stand, als mit einmal ihn jemand auf die Schulter klopft. Er sah sich um – ein alter zerlumpter Mann stand da u. entschuldigte sich: ›Ach so, ich dachte Sie wären mein Sohn‹ – Roderich wird wohl zeitlebens sich seine Carrière verderben mit seinen Schrullen, mit seiner Gleichgültigkeit gegen seinen äußeren Menschen. Dabei könnte er eine hocharistokratische Erscheinung sein, einer von der höchsten Kaste. Schade! Als sein Vater ihm, wie so oft schon, Vorstellungen darüber machte u. sagte: ›Ja, das ist aber ein Hinderniß für dich‹ – antwortete er: ›Ich bin ja selbst ein Hinderniß‹. Auch schildert er gern seine Zukunft als ›Pfannenflicker‹. Er käme dann vor meine Thüre, um nach alten Pfannen zu fragen. Seine Niederlassung sei dann im Niederdorf, wo er sich einen ehemaligen Lokus als Werkstätte eingerichtet habe, da er kein Geld habe, um sonst ein Lokal zu miethen.«
    In zuversichtlicheren Momenten war mein Opa aber offenbar überzeugt davon, dass in ihm weit mehr steckte als ein wandernder Handwerker in Lumpen. Und in einer lebensgefährlichen Expedition sah er augenscheinlich die beste Möglichkeit, um seinen Heldenmut zu beweisen – und seinen Eltern und sich selbst zu zeigen, dass er aus härterem Holz geschnitzt war.
    Im Jahr 1908, während seines Studiums in Zürich, erfuhr Roderich, dass der Schweizer Geophysiker Alfred de Quervain eine Arktis-Expedition plante. Er bewarb sich für eine Forschungsreise an die Westküste Grönlands, wurde aber wegen fehlender geografischer Kenntnisse abgelehnt. Mit dem Zug fuhr er wenig später nach Berlin, um sich persönlich dem Polarforscher Wilhelm Filchner vorzustellen, der per Schiff zum Südpol reisen wollte. Filchner imponierte, dass der junge Mann die Adresse seines Expeditionsbüros Unter den Linden ausfindig gemacht hatte. Er ließ einen Arzt kommen, der Roderich untersuchte und für arktistauglich befand. Doch die wissenschaftlichen Stellen waren schon vergeben, sodass Filchner nur einen Platz auf der Warteliste anbieten konnte.
    Als Roderich erfuhr, dass Ferdinand Graf von Zeppelin mit einem Luftschiff zum Nordpol fliegen wollte, verfasste er eine weitere Bewerbung. Aber eine Erkundungsreise des Grafen nach Spitzbergen ergab, dass die Fluggeräte für diesen Versuch zunächst noch
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