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Online Wartet Der Tod

Titel: Online Wartet Der Tod
Autoren: Alafair Burke
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vor – was sie überraschte, denn sie hatten im Lauf der vergangenen Woche diverse Bilder hin- und hergeschickt. Internet-Kontakte liefen immer mit Fotos ab, also hatte Amy, auch wenn es ihr nicht besonders wichtig war, hingeschaut. Es war ja auch nett, zu den Chats und E-Mails einen visuellen Eindruck zu haben. Aber das Gesicht, in das sie jetzt schaute, passte kein bisschen zu dem Bild, das sie abgespeichert hatte.
    Während Brad sich zwischen ein paar Leuten hindurchdrängte, um die Kellnerin nach einem freien Tisch zu fragen, ging sie im Geiste die Bilder, die er geschickt hatte, noch einmal durch und merkte, dass sein Gesicht auf den meisten halb verdeckt gewesen war – auf dem Fischerboot und am Skihang eine Sonnenbrille, beim Golfen eine Schirmmütze, bei dem offiziellen Abendessen ein schummriger Raum. Eine Aufnahme war ziemlich deutlich gewesen, aber noch der letzte Freak konnte wenigstens ein passables Foto von sich auftreiben. Im Nachhinein wurde ihr klar, dass sie immer auf das gute Bild zurückgegriffen hatte, um die Leerstellen der anderen auszugleichen.
    Als sie schließlich saßen, versuchte Amy herauszufinden, was genau anders war. Das Gesicht war aufgedunsen. Älter. Brad sah sogar deutlich älter aus als die achtunddreißig, die er in seinem Profil angegeben hatte. Sicher, sie hatte vielleicht auch ein paar Jährchen abgezogen, aber er war viel älter. Sie begriff, dass es sinnlos war, die Unterschiede im Einzelnen zu ergründen. Er sah vollkommen anders aus, als sie ihn sich vorgestellt hatte, und fertig.
    Nach dem ersten Glas Wein wusste sie, dass es nicht nur sein Gesicht war, das nicht zu seinem Online-Ich passte. Seinem Profil zufolge war Brad Feinschmecker und Rotwein-Junkie. Aus Sorge, ihre Wein-Vorlieben könnten überholt sein, hatte sie ihm beim Bestellen den Vortritt gelassen. Nachdem er dann einen billigen Merlot aus kalifornischer Massenproduktion geordert hatte, bestellte sie einen Barbera d’Asti. Wenn Brad log, dann sorgte sie eben dafür, dass Piemont-Preise auf seine Rechnung kamen.
    Er redete über die Arbeit und hielt nur inne, um in großen Schlucken zu trinken. Rechtsstreit unter Kaufleuten, Antrag auf Schnellverfahren, irgendwas über Zuständigkeiten und jemanden, der keine hatte. Berufungsverfahren. An jedem beliebigen Spätvormittag wäre sein Monolog schon langweilig gewesen, aber zu dieser nächtlichen Stunde fand Amy ihn absolut einschläfernd.
    Sie versuchte das Thema zu wechseln, indem sie Dinge ansprach, über die er sich in seinen Mails ausgelassen hatte – Independent-Filme, Laufen, Fotografieren. Eine Pleite nach der anderen; die Stichworte lösten nichts aus als einen leicht überraschten Ausdruck auf Brads fremdem Gesicht. Amy angelte nach ihrem Mantel und bekam zu spät mit, dass er schon eine zweite Runde bestellte.
    Nach einer knappen Stunde machte Brad tatsächlich eine Pause in seinem juristischen Dauerkommentar. »Tut mir leid. Ich hab so viel gearbeitet, da ist es manchmal schwer abzuschalten. Ich sollte vielmehr dir Fragen stellen.«
    Der kurze Hoffnungsschimmer, den Amy sich gestattete, wurde zunichtegemacht, als Brad anhob, seiner vermeintlichen Pflicht nachzukommen. »Für welchen Verlag arbeitest du denn?«
    »Wie bitte?«
    »Du bist doch Lektorin, oder? Welcher Verlag?« Ihre Verwirrung war wohl nicht zu übersehen. »Ach, nein, stimmt ja. Du machst … Fundraising. Für das Museum of Modern Art, richtig? Wie läuft das so?«
    Weitaus besser, dachte sie, als dieses Date. Der Mistkerl hatte sie doch tatsächlich mit irgendeiner anderen Dummen verwechselt, der er online was vormachte. Der Wein war gut, der Blick hinaus in den Schnee fantastisch, aber weder das eine noch das andere konnte diese Demütigung wettmachen.
    Jetzt entschied sie sich für eine Ausrede und brachte sie vor. »Ich weiß, ich habe gesagt, ich könnte mir einen langen Abend vorstellen, aber ich musste vorhin wegen dieser Muskelverspannung eine Schmerztablette nehmen.« Zur Verdeutlichung rieb sie sich die rechte Schulter. »Und jetzt, mit dem Wein obendrauf, ist mir plötzlich ein bisschen schwummrig.«
    »Ich bring dich nach Hause«, sagte Brad und strahlte. Offensichtlich witterte er angesichts ihres vorgetäuschten Rausches eine Chance.
    »Danke, nein, das schaffe ich schon. Es ist ja nur um die Ecke«, log sie. Es mochte idiotisch gewesen sein, sich auf das alles einzulassen, aber so dumm, auch nur einem von ihnen zu verraten, wo sie wohnte, war sie nicht.
    Amy wartete
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