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Onkel Toms Hütte

Titel: Onkel Toms Hütte
Autoren: Beecher-Stowe Harriet
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nicht auf der Stelle. Heimlich, in der Dunkelheit der Nacht, hatten sich arme Gestalten zu ihm geschlichen, die ihre karge Nachtruhe opferten, um ihm einen jener kleinen Liebesdienste zu erweisen, in denen er selbst so unerschöpflich gewesen. Gewiß, diese armen Schüler vermochten nur wenig zu geben – nur den Becher kalten Wassers; aber den reichten sie aus vollem Herzen.
    Auch Cassy war aus ihrem Versteck geschlüpft und hatte, im Hause lauschend, von dem Opfer gehört, das Tom ihr und Emmeline gebracht; vergangene Nacht war sie, aller Gefahr zum Trotz, im Schuppen erschienen und hatte sich von den wenigen letzten Worten, die zu äußern Toms liebevolle Seele gerade noch Kraft genug besaß, so rühren lassen, daß der lange Winter der Verzweiflung, das jahrelange Eis auf ihrer Seele endlich nachgegeben hatte; die dunkle verzweifelte Frau hatte gebetet und geweint.
    Als Georg den Schuppen betrat, fühlte er, wie ihm alles vor den Augen schwamm und sein Herz sich Zusammenkrampfte.
    »Ist es denn möglich? – Ist es denn möglich?« sagte er und kniete neben Tom nieder. »Onkel Tom! Mein armer, armer, alter Freund!«
    Etwas Vertrautes in der Stimme schlug an das Ohr des Sterbenden. Sanft bewegte er seinen Kopf, lächelte und sagte:
    »Jesus läßt ein Totenbett
zu sanften Kissen werden – «
    Tränen, die seinem männlichen Herzen alle Ehre machten, rollten dem jungen Mann aus den Augen, als er sich über seinen armen Freund beugte.
    »Oh, lieber Onkel Tom! Wach auf – wach noch einmal auf! Sieh her! Hier ist dein junger Herr – dein kleiner Herr Georg! Kennst du mich nicht mehr?«
    »Herr Georg!« sagte Tom, die Augen aufschlagend, mit schwacher Stimme, »Herr Georg!«
    Aber langsam trat die Erkenntnis in seine Seele; das starre Auge belebte sich und glänzte, das ganze Gesicht erhellte sich. Er faltete die Hände, und Tränen rannen ihm über die Wangen.
    »Gott sei gepriesen! Das ist – das ist – alles, was ich mir wünschte! Sie haben mich nicht vergessen, das wärmt mir die Seele, das tut meinem alten Herzen wohl! Jetzt werde ich in Frieden sterben! Lobsinge dem Herrn, meine Seele!«
    »Du wirst nicht sterben! Du mußt nicht sterben und darfst gar nicht daran denken! Ich bin doch gekommen, um dich zu kaufen und nach Hause zu holen«, sagte Georg mit ungeduldiger Heftigkeit.
    »Oh, Herr Georg, da kommen Sie zu spät. Der Heiland hat mich gekauft und wird mich nach Hause holen – und mich verlangt danach. Der Himmel ist besser als Kentucky.«
    »Ach, stirb nicht! Es bringt mich um – es bricht mir das Herz, wenn ich bedenke, was du gelitten hast – und wie du hier in dem alten Schuppen liegst! Armer, armer Kerl!«
    »Sagt nicht, armer Kerl!« sprach Tom feierlich. »Ich bin ein armer Kerl gewesen, aber das ist jetzt vorbei und abgetan. Ich stehe schon an der Tür und werde eingehen in die Herrlichkeit; oh, Herr Georg! Der Himmel ist gekommen! Der Sieg ist mein! – Der Heiland hat ihn mir geschenkt! Ehre seinem Namen!«
    Georg war von Ehrfurcht erfüllt über die Kraft, die Heftigkeit und Gewalt, mit welcher Tom diese abgerissenen Sätze hervorstieß. Er starrte schweigend vor sich hin.
    Tom ergriff seine Hand und fuhr fort: »Ihr müßt es nicht Chloe erzählen, der armen Seele, wie Ihr mich gefunden habt. Das wäre ihr zu schrecklich. Sagt ihr nur, Ihr habt mich in die Herrlichkeit eingehen sehen; und daß ich nicht bleiben konnte. Und sagt ihr, daß mir der Heiland allenthalben beigestanden und mir alles erleichtert hat. Ach, und die armen Kinder, und das Kleine – immer wieder hat sich mein Herz nach ihnen gesehnt. Sagt ihnen allen, daß sie mir folgen sollen! Grüßt den gnädigen Herrn und die liebe gnädige Frau und alle andern daheim. Ihr wißt es nicht, wie lieb ich euch alle habe. Jedes Wesen, überall – alles ist voll Liebe! Oh, junger Herr, was ist das für eine große Sache, ein Christ zu sein!«
    In diesem Augenblick schlenderte Legree an der offenen Tür des Schuppens vorbei, blickte mürrisch, mit gespielter Gleichgültigkeit herein und ging vorbei.
    »Der alte Satan!« rief Georg in seiner Entrüstung. »Es ist nur ein Trost, wenn man bedenkt, daß der Teufel es ihm eines Tages heimzahlen wird!«
    »Oh, nicht doch – so dürft Ihr nicht reden!« sagte Tom und tastete nach seiner Hand; »er ist ein armer, elender Mensch. Es ist schrecklich, wenn man daran denkt! Ach, wenn er nur bereuen würde, der Heiland würde ihm noch verzeihen; aber ich fürchte, das wird er nicht
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