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Onkel Robinson

Onkel Robinson

Titel: Onkel Robinson
Autoren: Jule Verne
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sich wohl auch bis zu Elise-House hin erstreckt. Da wurde dem Ingenieur klar, daß sie einmal würden Dämme aufschütten müssen, um den Fluten Einhalt zu gebieten, da der gesamte Küstenabschnitt unterhalb des Sees überschwemmungsgefährdet war.
    Zum Glück ließ der Regen nach, und die Flut ging rechtzeitig zurück. Auf die Wolkenbrüche folgten Böen und Stürme, die den Wald übel zurichteten. Man hörte, wie Bäume krachend niedergestreckt wurden, aber den Onkel verdroß das nicht über die Maßen; er sagte, der Orkan solle nur seine Holzfällerarbeit tun. Und tatsächlich wurde ihnen damit so manche Mühe beim Holzholen erspart. Meister Jup und der Onkel brauchten das Holz nur noch aufzusammeln und sich nicht beim Fällen anzustrengen.
    Im Kamin von Elise-House brannte natürlich ein tüchtiges Feuer. Warum hätten sie auch an Brennmaterial sparen sollen? Ihre Vorräte waren unerschöpflich. Das Knacken des Holzes brachte so viel Heimeligkeit in die Grotte wie das Geplapper der beiden jüngeren Kinder. So schritt die Arbeit im Familienkreis tüchtig voran. Man war mit der Herstellung von Pfeilen und Körben, dem Ausbessern der Kleider und der Küchenarbeit beschäftigt, wobei jeder seine Spezialität hatte und nach einem von Clifton sorgfältig ausgearbeiteten Programm vorging.
    Auch die geistige Arbeit und die moralische Erziehung wurden nicht vergessen. Clifton unterrichtete seine Kinder Tag für Tag. Auf den paar Blättern Papier, die er beim Verlassen der
Vankouver
bei sich gehabt hatte, hielt er alle Ereignisse fest, von denen sein Dasein auf dieser einsamen Insel geprägt war. Seine Notizen waren nur kurz, aber genau, und eines Tages sollte es anhand dieser Angaben möglich sein, die Geschichte der schiffbrüchigen Familie zu rekonstruieren, die hier nur wahrheitsgetreu nacherzählt wird.
    Das Jahr 1861 ging zu Ende. Seit nunmehr neun Monaten lebten Clifton und die Seinen auf Flip-Island. Ihre zunächst armseligen Lebensbedingungen hatten sich erheblich verbessert. Sie besaßen eine komfortable, durch eine Palisade gut geschützte Grotte, einen dicht bevölkerten Geflügelhof, einen Austernpark und einen fast fertigen Pferch für Großvieh. Sie hatten Bogen, Schießpulver, Brot, Zunder und Kleider. Weder Fleisch, noch Fisch oder Obst fehlten ihnen. Konnten sie damit der Zukunft ins Auge blicken? Das konnten sie wohl.
    Dennoch beschäftigte Clifton eine schwerwiegende Frage. War diese Insel bewohnt? Die Sache mit dem gehörnten Hahn war zwischen Clifton und dem Onkel ein häufiges Gesprächsthema. Daß bereits Menschen die Insel betreten hatten, konnte nicht bezweifelt werden; doch waren sie noch hier? Nein, offensichtlich nicht, denn es waren noch keinerlei menschliche Spuren entdeckt worden. Clifton und der Onkel kamen zu dem Schluß, daß in dieser Hinsicht nichts zu befürchten sei. Sie dachten schon gar nicht mehr daran, als ein völlig unerwartetes Ereignis eintrat, das sie ihre Meinung ändern ließ.
    Am 29. Dezember hatte Marc einen sehr jungen Hasen erlegt, der sich wohl zu weit von seinem Lager entfernt hatte. Das Tier wurde gebraten und zum Abendessen serviert. Jeder bekam seinen Anteil, und der Onkel, der dabei nicht gerade schlecht weggekommen war, erhielt eine Keule.
    Der Seemann aß mit großem Appetit und malmenden Kiefern, als ihm plötzlich ein Schrei entfuhr.
    »Was haben Sie denn?« erkundigte Mrs. Clifton sich besorgt.
    »Nichts, Madame, gar nichts, ich habe mir nur gerade einen Zahn ausgebissen!«
    So verhielt es sich wirklich.
    »Aber was hatte dieser Hase denn im Fleisch stecken?« fragte Clifton.
    »Einen Kiesel, Monsieur, einen simplen kleinen Kiesel«, antwortete der Onkel. »Das geschieht mir gerade recht!«
    »Armer Onkel!« sagte Belle. »Ein Zahn weniger.«
    »Ach, Mademoiselle!« versetzte der Onkel. »Mir bleiben immer noch zweiunddreißig. Ich hatte nämlich genau einen zuviel!«
    Unter Gelächter wurde die Mahlzeit fortgesetzt.
    Nach dem Essen jedoch nahm der Onkel Clifton beiseite. »Das ist der bewußte Kiesel, Monsieur«, sagte er zu ihm. »Jetzt tun Sie mir mal den Gefallen und sagen Sie mir, wie Sie so einen Kiesel nennen.«
    »Eine Schrotkugel!« rief Clifton.
    Tatsächlich: eine Schrotkugel.
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