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Onkel Deprius dunkles Erbe

Onkel Deprius dunkles Erbe

Titel: Onkel Deprius dunkles Erbe
Autoren: Harald Tonollo
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erschrocken.
    »Aber nein, gnädige Frau! Wozu auch?«, ertönte die Stimme des Butlers aus einer Ecke des Zimmers.
    »Kein Licht?«, stotterte Polly.
    »Oh!«, entfuhr es Frau Rottentodd. »Das konntest du ja gar nicht wissen, wie ungeschickt von mir. Ich habe nicht daran gedacht, dir das zu sagen, weil wir in unserer alten Wohnung natürlich Licht hatten.«
    In diesem Augenblick wurde ein Streichholz angezündet und Bruno versuchte mit seinen tatterigen Händen die Kerzen eines vierarmigen Kerzenleuchters anzuzünden. »Wenn ich mir erlauben darf …«, sagte er vornehm, »… für besondere Anlässe.«
    Polly war fassungslos. »Ich glaub’s einfach nicht …«, murmelte sie leise vor sich hin. »Ich glaub’s einfach nicht … Meine Familie kann im Dunkeln sehen …!« Der Reihe nach schaute sie alle Anwesenden an. »Was kommt als Nächstes?«, fragte sie grimmig. »Könnt ihr vielleicht auch die Wände hochlaufen? Feuer speien oder so was?«
    Palme schien das alles überhaupt nicht zu interessieren. Er nahm sich noch einen frittierten Klumpen aus einem rostigen Topf, biss mit Appetit hinein und begann genüsslich zu kauen.
    Pampe tat es ihm nach und sagte: »Ist doch kein Drama, Polly. Dann machen wir für dich abends eben immer Kerzen an. Ihr Mädchen mögt es doch romantisch, oder?«
    Polly funkelte ihren Bruder aus zusammengekniffenen Augen an.
    »Jetzt aber Stück von diese schweinische Schwein essen, sonst kalt!« Karla war mit einem Teller auf der Hand in das Esszimmer gekommen. Sie hatte die Pommes und das Schnitzel warm gehalten.
    »Pollyxenia …«, versuchte es Frau Rottentodd in einem versöhnlichen Ton. »Schau mal – wir verheimlichen dir ja nichts. Manchmal übersieht man eben etwas. Das passiert in den besten Familien. Nun iss dieses Stück vom Schwein.« Und lächelnd fügte sie hinzu: »Du kannst den Kerzenleuchter selbstverständlich mit auf dein Zimmer nehmen.«
    »Wie überaus großzügig«, spottete Polly und setzte sich. Sie war völlig erschöpft und hatte weder Lust noch Kraft, weiter zu streiten. Schlecht gelaunt griff sie nach ihrem Besteck.
    »Na, siehst du!«, freute sich ihre Mutter. »Und morgen früh fahre ich dich auch mit dem Leichenwagen zur Schule …«
    »Was?!« Polly fiel das Messer aus der Hand. »Mit dem Leichenwagen? Niemals, ich nehme den Bus!«
    »Aha«, sagte Pampe schadenfroh. »Weißt du denn, wann einer fährt?«
    »Und von wo?«, ergänzte Palme.
    Polly gab auf. Sie aß ihr Schnitzel, schob sich einige Pommes in den Mund und ging schließlich mit dem Kerzenleuchter in der Hand auf ihr Zimmer.
    Dieses war vollkommen kahl. Es gab nur ein Bett, einen Schrank, einen Tisch und einen Stuhl – alles aus längst vergangenen Jahrhunderten. Sie kramte einen Schlafanzug aus ihrem Koffer, den sie noch nicht ausgepackt hatte, und ließ sich auf das knarrende Bett fallen.

    Wäre jetzt doch wenigstens Hannibal hier, dachte sie. Dann schlief sie ein.

Die Französische Revolution
     
    »Du kannst mich jetzt rauslassen«, sagte Polly zu ihrer Mutter, die am Steuer des Leichenwagens saß. »Da vorne ist schon die Schule.«
    »Kommt überhaupt nicht infrage, Liebes. Ich fahre dich selbstverständlich bis vor die Tür.«
    Polly stöhnte. »Bitte nicht! Das ist total peinlich!«
    »Was soll denn daran peinlich sein, wenn man in so einem vornehmen Wagen zur Schule gefahren wird?«
    Frau Rottentodd hielt direkt vor dem Eingang zum Pausenhof. Die meisten Schüler drehten sich neugierig um und diejenigen, die es nicht taten, wurden sofort von den anderen auf den Leichenwagen aufmerksam gemacht.
    Zu allem Überfluss stieg Frau Rottentodd auch noch aus und öffnete ihrer Tochter mit einer übertriebenen Verbeugung die Beifahrertür. »So, gnädiges Fräulein«, flötete sie. »Bis vor die Tür! Ich wünsche einen schönen ersten Tag in der neuen Schule.«
    Polly schob sich vom Sitz und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Ihre Mutter knallte die Tür zu, lief mit elegantem Hüftschwung um den Wagen herum, setzte sich wieder hinter das Steuer und fuhr mit einem langgezogenen Hupen los. Na, toll!, dachte Polly. Mindestens hundert Augenpaare starrten sie an. Sie atmete einmal tief durch, versuchte krampfhaft zu lächeln und ging in Richtung Eingang. Als sie ungefähr die Hälfte des Schulhofes überquert hatte, rief von irgendwoher ein Junge: »Toller Auftritt!«
    Einige lachten.
    Aus einer anderen Richtung fragte jemand laut: »Haste auch deinen Sarg mitgebracht?«
    Jetzt lachten noch
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