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Ondragon - Menschenhunger

Ondragon - Menschenhunger

Titel: Ondragon - Menschenhunger
Autoren: Strohmeyer Anette
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zerklüfteten Küsten von Grönland in Sicht kommen, dann Island und dann die flachen, grünen Marschen von Hollands Niederungen. Danach wären es nur noch zweieinhalb Stunden, bis er in Berlin-Tegel landen würde.
    Er hatte sich fest vorgenommen, dieses Mal keinen Rückzieher zu machen. Seine Eltern erwarteten ihn, er hatte es endlich geschafft, mit seiner Mutter zu telefonieren. Er wusste jetzt, worüber er mit ihnen reden wollte: Per Gustav Ondragon, seinen Bruder, der damals bei dem Unfall in der Bibliothek des Vaters ums Leben gekommen war. Sein Kindergrab befand sich auf dem Berliner Zentral-Friedhof. Ondragon würde es besuchen und sehen, was dann passierte.
    Er verlagerte sein Gewicht in dem Sessel, denn ein bisschen spürte er noch immer die Pfeilwunde in seiner Seite. Sie verheilte gut und machte sich prima in der Sammlung seiner Narben. Wer konnte schon von sich behaupten, dass er den Indianern vom Marterpfahl entkommen war? Auf jeden Fall war er seit der Horrornacht im Wald ein strikter Gegner der Bogenjagd! Aber nicht nur die Wunde heilte, auch das eigenartige Fieber und die daraus resultierenden Alptraumfantasien waren abgeklungen, und nur ab und zu hörte Ondragon die Stimme in seinem Kopf: Du bist einer von uns !
    Er schob es auf sein Unterbewusstsein, das sich nicht kontrollieren ließ und die traumtischen Ereignisse noch nicht verarbeitet hatte. Ein wenig unwohl war ihm trotzdem. Unweigerlich glitten seine Gedanken zu Kateri. Seine wunderschöne Jägerin!
    Dank der Narbe würde er sie nie vergessen. Genau, wie er die Ereignisse um Dr. Arthur und die Cedar Creek Lodge so schnell nicht vergessen würde. Der bittere Geschmack dieses seltsamen Falles würde noch lange auf seiner Zunge liegen. Ohne Erfolg versuchte Ondragon sich dem Sog der Erinnerung zu entziehen. Wie so oft hatte die Zentrifuge die Initiative übernommen und spielte ihm mit rücksichtsloser Deutlichkeit einen geistigen Videomitschnitt der Geschehnisse vor. Ehe er es sich versah, befand er sich wieder inmitten der Wälder von Minnesota.
    Kateri hatte nicht nur einmal gelogen. Ihr ganzes Leben war ein kompliziertes und fragiles Lügengebilde, deshalb war sie auch so entschlossen gewesen, ihn umzubringen. Sie musste dieses Konstrukt schützen, sonst wäre ihre unappetitliche Vergangenheit ans Licht gekommen, und ihr Leben, das sie sich mühsam aufgebaut hatte, wäre unwiederbringlich zerstört worden. Ondragon konnte ihre Beweggründe verstehen. Kateri war verzweifelt gewesen, sie hatte keinen anderen Ausweg gesehen. Er vergab ihr, aber nur weil seiner Assistentin Charlize keins ihrer wunderschönen Haare gekrümmt worden war.
    Die gute alte Charlize. Sie hatte die vereinbarte Zeit abgewartet und, und nachdem er nicht in Orr aufgetaucht war, die besprochenen Maßnahmen ergriffen. Als dann noch dieser dilettantische Sunnyboy Julian bei ihr im Gateway Inn aufgetaucht war, um sie zu entführen, war ihr vollends klar gewesen, dass ihr Chef in Schwierigkeiten stecken musste. Sie hatte Julian mit fast lächerlicher Leichtigkeit überwältigt und ihn in einen Schrank in ihrem Zimmer gesperrt. Danach hatte sie unverzüglich die Polizei und das FBI verständigt, die sie keine Stunde später im Inn abgeholt hatten und mit einer ganzen Kohorte zur Lodge gefahren waren. Ondragon lächelte. Profis waren ihm immer noch am liebsten!
    Aufgrund der vernichtenden Beweislage, die er durch seine Notizen und Recherchen zusammengetragen hatte, konnte die Polizei Dr. Arthur und seine mutmaßlichen Mittäter ohne große Umstände verhaften. Das FBI hatte sich daran gemacht, sämtliche Akten des Kannibalen-Doktors sicherzustellen und die Gäste der Lodge angewiesen, ihre Sachen zu packen und sich für Befragungen bereitzuhalten. Sogar Zimmer 20 war geöffnet worden. Und was die Beamten dort vorgefunden hatten, reichte, um den Doc und seine Gang noch hundert Jahre länger hinter Gitter zu bringen. Nr. 20, der Alptraum eines jeden Ermittlers! Das Zimmer war von einem Gästezimmer mit Bett und anderen Annehmlichkeiten in eine Vorratskammer umgewandelt worden. An den Wänden hatten sechs Tiefkühltruhen gestanden, die friedlich vor sich hinsurrten. Die Gesichter der Beamten, die diese Truhen geöffnet hatten, würde Ondragon niemals vergessen. Trotzdem hatte er Nr. 20 betreten und selbst in die Truhen gesehen. Der Gedanke an die in durchsichtige Gefriertüten verpackten Fleischstücke jagte ihm noch immer einen kalten Schauer über den Rücken. So etwas hatte er noch
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