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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Autoren: Tilman Birr
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Freunde zu Bier und Schnitzel einladen, obendrauf eine Runde Obstler schmeißen und danach immer noch mit dem Taxi nach Hause fahren kann. Hell, yeah!
    Sie wühlte in ihrer Handtasche herum und gab mir tatsächlich einen zusammengefalteten Schein.
    »Here you are. Buy something for your kids.«
    »Thank you very much, madam. I am most exceedingly obliged.«
    Allein für diesen Satz hatte es sich gelohnt, als Student der Anglistik in der Theatergruppe den Mr Darcy zu geben.
    »Tsihihi! You’re welcome.« Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte mich umarmt. »Good bye. Ah, how do you say that? Ahf Veederzayn.«
    »Auf Wiedersehen.«
    Und weg war sie.
    Ich faltete den Schein auseinander. Es waren fünf Dollar. Was sollte ich mit fünf Dollar? Umtauschen? Für den nächsten USA-Besuch aufheben? Warum gab sie mir überhaupt Dollars? Ich drehte den Schein ratlos in meiner Hand.
    »Mensch, du hast ja Valuta«, sagte Klaus im Vorbeigehen.
    »Was hab ich?«
    »Valuta. Frei konvertierbare Währung. Was machst du denn jetzt mit so viel Geld? Auf in den nächsten Intershop, wa?«
    Ich sah ihn mit gerunzelter Stirn an, aber er war schon an mir vorbeigelaufen und wieder hinter seiner Bar verschwunden.
    Er hatte recht. Die Amerikanerin hatte gedacht, sie würde mir mit ihren Dollars, die sie für eine steinharte Währung hielt, einen Gefallen tun. Ich könnte mir davon endlich etwas Richtiges zum Anziehen kaufen, und meine zwanzig unterernährten Kinder (Kondome gab es nicht in Deutschland) könnten endlich mal richtig satt werden. Oder ich könnte alle Dollars sparen und mir eines Tages einen Kühlschrank kaufen, einen Warmwasseranschluss legen lassen oder einen Beamten bestechen.
    Und dann ging mir auf, warum sie gelacht hatte: Sie fand mich niedlich. Sie war erstaunt darüber, dass ein Europäer, noch dazu ein ehemaliger Kommunist, Diktaturopfer und Drittweltlandbewohner, überhaupt Englisch sprach, und dann noch mit einem so lustigen britischen Akzent. So wie man bei Disneys sprechenden Tieren »O wie süß« sagt, dachte sie dasselbe über einen Englisch sprechenden jungen Menschen, den sie für einen Ostdeutschen hielt.
    Und jetzt wusste ich auch, warum die Touristen vom Schiff winkten: Sie fühlten sich auf einer Art Safari. Auf dem Boot war man sicher und konnte den wilden Tieren zuwinken. Sobald man aber wieder zu Fuß durch den Dschungel musste, sah man lieber zu, dass einem niemand zu nahe kam. (»Sie sind zwar süß, aber sie sind immer noch Raubtiere.«)
    Es war eine Art umgekehrter Karneval der Kulturen. Dort werden Menschen aus fernen Ländern in sicherem Abstand auf Lkws zur Belustigung der einheimischen Bevölkerung vorbeigefahren. Hier fahren die Zuschauer mit dem Schiff mitten durch das Reservat der Wilden, geschützt durch Wasser und ein paar Tonnen Stahl.
    Ich steckte den Fünfdollarschein zum restlichen Trinkgeld. Er liegt heute in einer finsteren Schreibtischschublade und kann dort besichtigt werden.

Klaus V
    W eißte was, Klaus?«
    »Nee, weiß ich nicht.«
    »Ich glaub, du hast recht.«
    »Das glaubst du? Das weiß ich schon lange.«
    »Willst du nicht wissen, was ich meine?«
    »Rede ruhig, mich stört das nicht.«
    »Es gibt schon ein paar Touristen, die einem gehörig auf den Sender gehen können.«
    »Na, das ist ja mal eine Erkenntnis!«
    »Die Amis zum Beispiel. Die wundern sich darüber, dass wir hier auf der Straße Alkohol trinken dürfen. Bei denen kommste dafür vor Gericht. Hier ist das völlig normal.«
    »Ja, aber das finden die doch gut.«
    »Die Jungen finden das bestimmt gut, dass man hier überall saufen darf und dass das auch noch fast nix kostet. Aber die Alten glauben, das wär ein Zeichen des Niedergangs. Die sagen dann: hach, diese Berliner! Die haben einen schwulen Bürgermeister, der mit den Kommunisten paktiert. Das kommt alles nur vom Sittenverfall und dem uneingeschränkten Alkoholkonsum.«
    »Aber die Amis geben wenigstens noch Trinkgeld.«
    »Ja, das schon. Aber die halten sich doch für was Besseres. Nur weil wir hier auf der Straße Bier trinken, sind wir doch noch keine Affenmenschen. Sternburg saufen und auf der Straße rumgrölen, das ist Berliner Folklore.«
    »Samma, willste dich irgendwie bei mir einschleimen oder so?«
    »Und dann tun die noch so tolerant. Neulich kam eine zu mir und hat gesagt, sie würde Berlin ja total toll finden. Das Hostel wäre ein bisschen dreckig, aber da würde sie sich nicht beschweren, weil sie ja weiß, dass sie hier in Europa ist,
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