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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Autoren: Tilman Birr
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geht ihr denn dann hin, wenn ihr nicht in den Club geht?«
    Ich trat einen Schritt näher an die beiden heran und senkte verschwörerisch meine Stimme:
    »Das bleibt jetzt aber unter uns«, sagte ich und sah mich um. »In der Donaustraße in Neukölln gibt es eine bayerische Kneipe, die heißt Valentinstüberl. Da werden die Trends der Zukunft geschmiedet. Da seid ihr richtig. Dann könnt ihr in zwei Jahren sagen, dass ihr das schon in Berlin mitgemacht habt, bevor es jeder cool fand.«
    »Und was sind das für Trends?«
    »Wir trinken Bier, essen Obazdn oder Leberkäs oder so Zeug und unterhalten uns.«
    »Unterhalten?« Er schien verwirrt. »Wie jetzt? Worüber denn?«
    »Was man mag. Es gibt da keine Beschränkungen. Das ist eine libertäre Bewegung. Was dich in deinem Leben bewegt, das kannst du da am Tisch loswerden.«
    »Isch des so eine Art Eso-Ding, oder was? Seid ihr ne Sekte?«
    »Nein. Back to the roots, Mann. Come as you are. Wir brauchen keine hautengen Hosen und keine überteuerte Zuckerbrause mit Rum drin, um akzeptiert zu werden und Spaß zu haben. Eine Halbe für zweiachtzig! Weißwurst mit Brezn! Warum soll ich fünf Euro für ein Bier bezahlen, wenn ich weiß, der größte Teil davon geht für eine sterile Einrichtung, nervtötende Musik und die Betonschminke der Barfrau drauf? Und dann diese Aggressionen! Messerstecherei vor Technodisko, das lese ich jeden Tag in der Zeitung. Habt ihr schon mal die Schlagzeile ›Messerstecherei vor bayerischer Kneipe‹ gelesen? Ich nicht.«
    Der Schweigsame beugte sich zum Wortführer, und ich meinte hören zu können, wie er ihm ins Ohr flüsterte: »Das ist ein Nazi. Komm, gehen wir.«
    Ich kam in Fahrt.
    »Wenn die da oben das Rauchen in Kneipen verbieten können, dann können wir auch gefälschte Musik verbieten. Dann gibt es nur noch Blasmusik. Da werdet ihr mit eurem Electro ganz schön alt aussehen.«
    Jetzt wurde der Schweigsame lauter.
    »Komm, wir gehen.«
    Die beiden wandten sich ab und gingen.
    »Dann geht halt in eure Scheißdiskos«, rief ich ihnen hinterher. »Ihr werdet mit dreißig am Herzinfarkt sterben und euch die Gehirnzellen weichgestampft haben. Und out werdet ihr sein! Total out und uncool!«
    Plötzlich begannen sie zu rennen.
    » EWIGE TOURISTEN, DIE BERLIN NICHT VERSTANDEN HABEN! ICH LACHE EUCH AUS, IHR PROVINZLER. DISKOS SIND FÜR LANDEIER! HA! HÖRT IHR MICH? HAHAHA !«
    Die beiden Jungs rannten die Treppen hoch und verschwanden hinter den Büschen des Marx-Engels-Forums.
    Ich hatte noch eine Viertelstunde Zeit, bevor die nächste Tour begann, setzte mich auf eine Bank und rauchte eine Zigarette. Ganz schön anstrengend, diese Schreierei. Ich könnte mal wieder etwas Entspannung vertragen, dachte ich. Mal abends mit ein paar netten Leuten weggehen, ein bisschen was trinken, nette Musik hören und sich etwas unterhalten. Vielleicht mit Anna und ihren hübschen Freundinnen, wenn sie sich wieder beruhigt hat und wieder mit mir redet. Ich wollte schon immer mal ins Berghain. Soll ja gerade total angesagt sein.

Klaus IV
    K laus muss irgendwie schlecht drauf gewesen sein. Schon den ganzen Tag über hatte er bei den Gästen immer wieder die verbale Bresche gesucht, in die er vorstoßen konnte, und war dabei über das übliche Maß hinausgegangen.
    »Kann ich zahlen?«, hatte ein Gast gefragt, und Klaus hatte zurückgebellt:
    »Dit will ick aber schwer hoffen, sonst steck ich Sie zum Spülen in die Kombüse.«
    Selbst für neutrale Formulierungen wurde man von Klaus angefahren:
    »Ein Bier bitte.«
    »Bier, wat denn, wat denn? Groß oder klein, zum Mitnehmen oder zum hier Trinken? Vom Fass oder aus der Flasche? Wollen Sie ein frisches oder stehen Sie eher auf abgestandene Plörre?«
    Und der Evergreen:
    »Ich hätte gern eine Apfelschorle.«
    »Und ich hätte gern einen Job, wo ich einfach mal meine Ruhe haben kann, wir kriegen beide nicht, was wir wollen.«
    Klaus hatte den Vorteil, dass auf einem Schiff niemand einfach aufstehen und gehen konnte. Nur ein Mal hatte ihm jemand die Stirn geboten. Zwei Leute hatten sich an einen reservierten Tisch gesetzt, Klaus kam sofort angewatschelt und hatte sie angebrummt:
    »Sie sitzen falsch!«
    »Wieso?«, hatte der Mann geantwortet. »Wie sitzt man denn bei Ihnen?«
    Wenn der Kellner die Gäste schon auf seine miese Laune heruntergezogen hat, muss der Stadtbilderklärer doppelte Arbeit leisten, um doch noch etwas Trinkgeld herauszupressen. Klaus und ich lehnten wieder am Geländer an der
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