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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Autoren: Tilman Birr
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und da wär das ganz normal, und man könnte hier ja nicht den amerikanischen Standard erwarten. Blöde Punze!«
    »Na komme! So schlimm sind die ja jetzt auch nicht. Es gibt doch auch Touristen, die ganz okay sind. Du zum Beispiel bist ganz in Ordnung.«
    »Ich bin doch kein Tourist, Mann. Ich arbeite doch hier.«
    »Aber von hier biste trotzdem nicht.«
    »Ich wohne hier seit acht Jahren.«
    »Sag ich doch.«
    »Dann die Spanier, die sind total rücksichtslos und unhöflich. Die sind ja noch lauter als die Berliner. Die stellen sich direkt vor mich und brüllen irgendwas auf Spanisch und glauben auch noch wie selbstverständlich, dass ich das verstehe. Die machen Lärm, als wären sie taub. Wie die Vandalen.«
    »Ich glaube, das ist Rache für Mallorca.«
    »Und die Franzosen, die können ja mal gar nix. Sprechen nicht Deutsch, nicht Englisch, nicht mal Italienisch oder wenigstens Latein.«
    »Ach, wie schlimm! Die Franzosen sprechen kein Latein! Na, haste aber wirklich einen schweren Missstand aufgedeckt, Kollege. Was willste denn da jetzt machen? Unterschriftenaktion? Oder offenen Brief an Sarkozy?«
    »Die Japaner andererseits, die fragen nach dem Weg, und du erklärst und erklärst, und die nicken und machen: hmm … hoh … hm. Und wenn sie dann losmarschieren, gehen sie an der nächsten Ecke natürlich in die falsche Richtung. Warum fragen die denn nicht nach, wenn sie es nicht verstanden haben?«
    »Ich glaube, das gilt bei denen als unhöflich. Man muss immer so tun, als ob alles okay ist.«
    »Ja, aber das ist doch total bekloppt! Das ist doch wie Orgasmus vortäuschen. Der Mann glaubt, es ist alles in Ordnung, und nach jahrelanger Beziehung kriegt man das dann vorgeworfen.«
    »Glaubst du, die Japaner kommen wieder und werfen dir was vor?«
    »Ach was! Die würden ja schon den Weg nicht finden.«
    »Gibt es sonst noch irgendwelche Ausländer, gegen die du was hast, mein kleiner gefiederter Rassistenfreund?«
    »Ich hab doch nichts gegen Ausländer!«
    »Aber?«
    »Nichts aber. Es gibt auch genug Deutsche, die mir auf die Nerven gehen.«
    » …«
    »Aber das Schlimmste, das Allerallerschlimmste …«
    »Also doch aber.«
    »Das Schlimmste ist: Ich mache den Job echt gern. Ich würde gern nächste Saison weitermachen. Geht aber nicht.«
    »Wenn du glaubst, ich mach jetzt hier mit dir einen auf Time To Say Goodbye, haste dir geschnitten. Dafür musste ins Kino gehen.«
    »Was machst du eigentlich den Winter über?«
    »Ich bin auf meinem Landsitz in der Toskana. Mann, ich bin Kellner, Alter, was glaubst du, was ich mache? Das geht im Winter genauso weiter: Was darf es denn sein? Darf ich kassieren? Bitte schön, danke schön. Wo kommen Sie her? Ach, das ist ja interessant. Und alle reden mich mit ›tschuldigung‹ oder ›hallo‹ an. Neulich hat mal einer ›Herr Ober‹ zu mir gesagt, da hab ich mich noch drei Tage später drüber gefreut.«
    »Wenn ich nächste Saison mal aufs Schiff komme, treff ich dich dann noch?«
    »Kann schon sein. Aber dann mach ich keinen auf Time To Say Hello.«
    »Du bist ein ganz Harter, was?«
    »So isses.«
    »Na ja …«
    »Ja …«
    »War schon nett hier bei euch.«
    »Ick sare nüscht.«
    »Ja gut …«
    » …«
    »Tschüss, Klaus.«
    »Tschö, du.«
    »Ach, Klaus? Warum bin ich für dich immer noch ein Tourist?«
    »Ein Pferd, das im Schweinestall wohnt, ist immer noch ein Pferd. Und Berlin ist eine Schweinestadt.«

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
    E s war Mitte November, und die letzte Schicht auf dem Schiff lag hinter mir. Ich hatte 2 800 Kilometer auf der Spree zurückgelegt, 16 000 Touristen die Stadt erklärt, 3000 Euro Trinkgeld bekommen, 400-mal denselben Text in zwei Sprachen gesprochen, 66 Flaschen Club Mate getrunken und drei Touristen davor bewahrt, sich an der Rathausbrücke den Kopf zu stoßen. Ich hatte einen Kollegen seinen Kopf verlieren und über Bord springen sehen, wurde zweimal vom Bordkellner vor körperlichen Schäden bewahrt, wurde einmal als Nazi beschimpft und einmal für einen Drogendealer gehalten.
    Schön war es. Vorbei.
    Ich saß über den Jobanzeigen: Schneeschipper, Lagerarbeiter (nur Studenten!), Barmann (mit Erfahrung!), Catering, Callcenter, 400-Euro-Basis, acht Euro pro Stunde. Der Chef einer Tankstelle hatte »Da suchen wir nur Frauen. Und tschüss!« ins Telefon gebellt und sofort wieder aufgelegt. Eine schlechtgelaunte Barbetreiberin hatte mich gefragt, woher ich ihre Nummer hätte, und wollte mir nicht glauben, dass die in
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