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On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)

Titel: On se left you see se Siegessäule: Erlebnisse eines Stadtbilderklärers (German Edition)
Autoren: Tilman Birr
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der Anzeige gestanden hatte. Die Frau im Büro eines Museums hatte gesagt: »Sie können sich natürlich bewerben, aber ich sag Ihnen gleich: Sinn hat das auch nicht.« Alle Anbieter von Stadtführungen, bei denen ich angerufen hatte, hatten sich hörbare Mühe gegeben, mich nicht auszulachen. Die Saison sei um, ob ich mal aus dem Fenster gesehen hätte, ob mir klar sei, dass der Rest der Welt nicht das ganze Jahr über Urlaub habe.
    Und nun? Ich hätte meine Eltern um Geld bitten können. Oder meine Großeltern. Ich hätte meine Gitarre verpfänden oder meinen Fernseher verkaufen können. Viel würde ich dafür aber auch nicht mehr bekommen. Ich hätte mein Zimmer weitervermieten und mich bei Thomas und Jenny in der drei Quadratmeter großen Abstellkammer einquartieren können.
    Bub, hättest du was Anständiges gelernt.
    Warum ging ich nicht weg? Irgendwohin, wo es mehr Arbeit gab als in Berlin. Aber mich irgendwo anders neu einrichten? Neue Freunde, neue Lieblingsläden und eine neue Wohnung finden, nur wegen eines schnöden Jobs, den ich ja noch nicht einmal hatte? Und dann bräuchte es in der neuen Heimat ja auch noch eine regionale Charaktereigenschaft, über die ich mich aufregen könnte.
    Wegzug war auch nicht das Allheilmittel. Bei manchen Freunden, die weggezogen waren, hatte ich den Eindruck, sie wollten damit das eigentliche Problem umgehen. Ihre Strategie ging so: Ich bin unzufrieden, wenn ich jetzt aber nach Oldenburg oder Addis Abeba gehe, geht es mir da zwar auch nicht besser, aber das kann ich ja dann auf Oldenburg oder Addis Abeba schieben. Dann muss ich mich nicht mit mir selbst auseinandersetzen und kann mich zudem damit trösten, dass ich ein flexibler, mobiler, engagierter junger Mensch bin, der kein Problem damit hat, einfach mal so den Wohnort zu wechseln.
    Nee, nee, nicht mit mir. In Berlin war es gar nicht so schlecht. Wo sonst hätte ich einen Sommer lang lässig vom Tourismus leben können, wo sonst wäre ich Lemmy begegnet, könnte ich zu jeder Tageszeit frühstücken, brunchen oder Mittag essen, hätte ich die halbe Welt vor der Tür, könnte ich mich entscheiden, ob ich mich lieber mit schwulen Künstlern mit Alkoholproblem oder mit kapuzenpullitragenden Autoanzündern herumtrieb? Vielleicht noch in Hamburg, aber sicher nicht in Essen, Nürnberg oder Kiel. Und die paar Idioten, die einem in der Stadt auf den Nerv gingen – über die musste man lächeln oder sie wenigstens ignorieren können, ob es nun miesepetrige Berliner oder überkandidelte »Schwaben« waren. Wer das nicht konnte, sollte besser nicht in einer Großstadt wohnen.
    Und unzufrieden war ich auch nicht. Ich hatte halt nur keine Arbeit.
    Anna klopfte an meine Tür.
    »Du?«
    »Ja?«
    »Ich müsste mal mit dir reden.«
    Hallelujah, das wurde aber auch Zeit.
    »Aber gern.«
    »Ich zieh aus.«
    Scheiße!
    Ich schwieg.
    Sie auch.
    »Warum?«, fragte ich.
    Anna atmete scharf aus. Vielleicht hatte sie gehofft, nichts erklären zu müssen. Was jetzt kam, hatte sie sich anscheinend sorgfältig zurechtgelegt:
    »Ich hab in letzter Zeit gemerkt … Deine Vorstellung vom WG -Leben … arbeite auch sehr viel … passen auch nicht wirklich zusammen … sehr anstrengend … auch wirklich viel zu tun …«
    Was redete sie da? Seit Wochen war sie genervt von mir, und ich wusste nicht warum. Ich war nicht anders mit ihr umgegangen als sonst, hatte ihr keine eindeutigen Angebote gemacht, sie nicht beleidigt, nicht zurückgewiesen, mit keiner ihrer Freundinnen geschlafen, ihr kein Geld gestohlen oder sonst irgendetwas angestellt, wofür man üblicherweise die Freundschaft gekündigt bekommt. Es war nichts passiert, jedenfalls nichts, wovon sie mir erzählt hätte. Sie war nur einfach plötzlich genervt von mir und verpackte diese Tatsache in freundliche Umschreibungen. Nun ging ich ihr durch meine bloße Existenz wohl so auf die Nerven, dass sie ausziehen musste.
    »Versteh ich nicht«, sagte ich. »Was ist denn jetzt anders als vor zwei Monaten? Da war doch alles okay, oder wie?«
    Anna sagte wieder das Gleiche und musste sich große Mühe geben, noch freundlich zu klingen:
    »Ja. Nee …Veränderung … Vorstellung vom WG -Leben … auch wirklich bei der Arbeit sehr … wir zwei uns auseinander …«
    »Aber das war doch mal anders«, sagte ich.
    »Ja, aber jetzt ist es halt so.«
    »Aber warum denn? Erklär es mir bitte.«
    Wieder atmete sie scharf aus.
    »Nein«, sagte sie. Es klang nicht mehr freundlich. »Nein, das mache ich nicht.
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