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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an
Autoren: Anne Telscombe
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Eindruck war der einer aufrechten, konventionell aussehenden alten Dame mit dickem, widerspenstigem grauem Haar, das von einer Batterie von Haarnadeln säuberlich zusammengehalten wurde. Alles an Miss Baker war flach und gerade. Nirgends fand sich auch nur die Andeutung einer Kurve.
    Miss Baker trug Marineblau. Und wenn Miss Baker Marineblau trug, oder auch Stahlgrau oder Braun - niemals Schwarz («Das macht alt, und man sieht jeden Fleck drauf», pflegte sie zu sagen) -, tat sie es gründlich. Die Stücke einzeln zu beschreiben - die Schuhe, die Handtasche, die Handschuhe, den Mantel -, war nicht möglich; sie stimmten alle im Farbton so genau überein, daß sie zu einer Art Overall verschmolzen. Den einzigen Kontrast, den Miss Baker sich erlaubte, war . Wirkliches, fleckenloses Weiß. Manchmal waren es die Handschuhe, gelegentlich war es eine künstliche Blume, meist ein Kragen.
    Mrs. Cartwright fühlte sich von dem blendenden Weiß des gestärkten Kragens wie hypnotisiert. Er erinnerte sie an ein ruhiges englisches Pfarrhaus, eine stille viktorianische Existenz in einer anderen Welt.
    Aber als sich ihre Augen trafen, hatte Mrs. Cartwright das sichere Gefühl, daß der Eindruck zarter Gebrechlichkeit trog und daß Miss Baker bestimmt alles aussprechen würde, was ihr so durch den Kopf ging-
    «Ich selbst wende bei Mitreisenden, die mir auf die Nerven gehen, eine etwas andere Methode an», fuhr Miss Baker fort. «Bis jetzt konnte ich sie nur auf Schiffen ausprobieren, aber es hat mich sehr interessiert zu sehen, daß sie in Flugzeugen genauso wirksam ist.»
    «Sie meinen - das war Absicht?» rief Mrs. Cartwright aus, als ihr der volle Sinn dieser erstaunlichen Bemerkung aufging. Sie war nicht sicher, ob sie ein so unsoziales Verhalten billigen sollte, und sagte in edelmütigem, wenn auch nicht ganz von Herzen kommendem Protest: «Ihnen ist offensichtlich nicht klar, daß Miss Hoskins ein sehr guter und wertvoller Mensch ist und sehr viel für die Wohlfahrt tut.»
    «Gewiß», stimmte Miss Baker zu. Aber als sie Mrs. Cartwrights Augen wieder begegnete, brach sie in ansteckendes Gekicher aus. «Sehr edel. Ich weiß genau, was Sie meinen: des Landes Stab und Stütze. Unseligerweise kann ich penetrante Menschen nur unter Schwierigkeiten länger aushalten, vor allem die wohlmeinenden - in meiner Familie wimmelt es davon.»
    Patricia Cartwright fand die Unterhaltung mit ihrer Nachbarin unerwartet erfrischend und mußte unwillkürlich lachen.
    «In meinem Wahlkreis auch», bekannte sie.
    «Ach ja, Mrs. Hoskins hat mir erzählt, daß Sie Parlamentsabgeordnete sind. Sie sehen nicht so aus», fügte Miss Baker offen hinzu. «Ich habe diesen Beruf schon immer unweiblich gefunden. Wie sind Sie das denn geworden?»
    «Mein Mann ist bei einem Flugzeugabsturz umgekommen. Ich habe bei der Nachwahl seine Kandidatur übernommen.» Patricia Cartwright lächelte trocken. «Es hat mir damals sehr geholfen.»
    Sie fühlte, daß Miss Baker sie nicht unfreundlich musterte. Es lag kein Mitleid in ihrem Blick, nur echtes Interesse. Patricia Cartwright entspannte sich. Sie sprach und sie hörte zu, manchmal fasziniert, manchmal amüsiert und immer gefesselt von der Energie und dem Optimismus der alten Dame. Miss Baker hatte einen wachen und interessierten Verstand, was sie zu einer perfekten Zuhörerin machte, wenn ihre Fragen zu ihrer Zufriedenheit beantwortet wurden. Aber ab und zu nahm sie einen merkwürdigen Standpunkt ein, den sie dann hartnäckig verteidigte. Die Politik war unweiblich. Höfliches Geplauder war überflüssig. Die Steuern waren ungerecht verteilt. Die junge Generation war zu ernst.
    Gegenargumente ignorierte Miss Baker schlicht und einfach. Ihr schneller Verstand sprang von einem Thema zum andern, pickte die wesentlichen Punkte heraus, ohne sie weiter zu analysieren, und segelte mühelos zum nächsten Thema weiter, ohne daß der harte Kern ihrer Überzeugungen und Vorurteile berührt wurde. Mrs. Cartwright war überrascht, als sie sich plötzlich dem Erdboden näherten und zum Mittagessen in Wilna landeten.
    Die Passagiere verließen im Gänsemarsch das Flugzeug und betraten die frisch geräumte Rollbahn, an deren Rändern sich Schneehaufen türmten. In der Feme erstreckte sich ein endloser Horizont. Es gab keine Flugzeughallen, keinerlei Aktivität und kaum Menschen. Nur ein einziges Flugzeug war auf dem ganzen Flugplatz zu sehen, und das machte den Eindruck, als stünde es schon sehr lange dort.
    Wie
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