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Oma klopft im Kreml an

Oma klopft im Kreml an

Titel: Oma klopft im Kreml an
Autoren: Anne Telscombe
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lieber Informationen sammelte als gab, begann sie sich doch zu fragen, ob Mrs. Hoskins’ Informationen wert waren, gesammelt zu werden.
    Nach weiteren zwanzig Minuten war ihr klar, daß sie für den Rest der Reise ohne Gesellschaft auskommen konnte.
    «Ob wohl irgend etwas mit dem Flugzeug nicht in Ordnung ist?» unterbrach sie und sah angestrengt aus dem Fenster hinab auf die dunkelgrünen Flecken der Tannenwälder. «Es scheint nicht sehr hoch zu fliegen.»
    «Ja, die britischen Flugzeuge fliegen viel höher», sagte Mrs. Hoskins. Sie erinnerte sich, das irgendwo gelesen zu haben. «Viertausend bis sechstausend Meter. Über den Wolken soll es viel weniger schaukeln.»
    «Ganz gewiß», sagte Miss Baker, die sich für ihr Thema zu erwärmen begann. «Das Flugzeug hier ruckelt ganz außergewöhnlich. Mir wird schon jetzt ganz seltsam im Magen. Ich habe das komische Gefühl, daß er sich dauernd umdreht - dabei habe ich zum Frühstück gar nicht so viel gegessen.»
    Mit Befriedigung sah sie, daß Mrs. Hoskins’ rundlich blühendes Gesicht sich apart ins Pergamentene verfärbte, und nahm ihren Vorteil erbarmungslos wahr.
    «Natürlich glaube ich nicht, daß zweimotorige Maschinen so hoch fliegen können wie viermotorige. Es macht einen ganz nervös, wenn man immer den einen Motor beobachtet und sich vorstellt, daß er ausfallen könnte.»
    Mrs. Hoskins, die die Motoren vorher nicht einmal bemerkt hatte, richtete verängstigt die Augen auf den durch das kleine Fenster sichtbaren Propeller, dem ein schmaler Streifen schwarzen Öls und ein gelegentliches durchsichtiges Rauchwölkchen entquollen.
    «Dieser komische Dampf ist wohl ganz normal», sagte Miss Baker. «Dampfen tut er schon längst. Aber ab und zu stottert er auch ein bißchen. Immerhin, der Pilot wird das ja sicher wissen, und wir brauchen uns also nicht zu beunruhigen.»
    Mrs. Hoskins beobachtete den Propeller mißtrauisch, während sich ihr Magen langsam zu heben begann.
    «Natürlich», fuhr Miss Baker fort, «ist es völlig überflüssig, sich darüber Gedanken zu machen, wenn ja doch alles eine Schicksalsfrage ist. Wenn einem bestimmt ist, bei einem Flugzeugabsturz zu sterben, kann man daran nichts ändern. In meinem Alter kommt es ja auch nicht mehr so darauf an...»
    Sie unterbrach sich, um die Zeitung von ihrem Schoß auf Mrs. Hoskins’ Knie zu legen.
    «Sie Ärmste! Sie sehen richtig elend aus. Ob wohl die Stewardess eine von diesen netten kleinen Papiertüten hat, die es in dem Flugzeug gestern gab? »
    Tief befriedigt von dem Ergebnis ihrer Strategie sah Miss Baker sich nach der Stewardess um. Furchtlos zog sie die benommene Mrs. Hoskins aus dem Sitz und führte sie den schwankenden Mittelgang entlang.
    «Ich fürchte, Ihrer Freundin ist nicht gut», teilte sie Mrs. Cartwright mit. «Vielleicht ist sie an ihrem eigenen Platz besser aufgehoben.»
    Mit einer kleinen Verbeugung wandte sie sich um und kehrte in den hinteren Teil des Flugzeugs zurück. Im selben Augenblick kam die Stewardess aus der Pilotenkanzel und stürzte sich mit lauten russischen Schreckensrufen auf Mrs. Hoskins. Nachdem Mrs. Cartwright eine Zeitlang in stummer Hilfsbereitschaft daneben gestanden hatte, entschied sie, daß ihre Gegenwart überflüssig war, nahm ihr Buch und zog sich in den Hintergrund und auf den Platz neben Miss Baker zurück.
    «Eine unbequeme Sache, diese Luftkrankheit, nicht wahr?» stellte Miss Baker fest.
    Mrs. Cartwright lächelte zwar, schlug aber ostentativ ihr Buch auf. Sie war dankbar und überrascht, als Miss Baker es bei dieser Bemerkung bewenden ließ. Sie saßen eine halbe Stunde stumm nebeneinander, Miss Baker zufrieden strickend, Mrs. Cartwright mit allmählich nachlassendem Interesse an ihrem Buch.
    «Das Lesen beim Reisen ist so anstrengend für die Augen», seufzte Mrs. Cartwright, als sie schließlich ihr Buch zuschlug.
    «Seit dreißig Jahren ist es zu anstrengend für mich», stimmte ihr Miss Baker zu. «Immerhin, es ist ein ganz gutes Mittel, langweiligen Gesprächen auszuweichen.»
    Die weltgewandte Patricia Cartwright errötete wie ein Schulmädchen und ärgerte sich darüber.
    «Ich hoffe, Sie haben nicht gedacht, ich benutze das Buch als Vorwand, damit ich mich nicht mit Ihnen unterhalten muß -»
    «Natürlich haben Sie das getan», sagte Miss Baker ruhig. «Aber ich bin nicht im geringsten verletzt. Wenn ich das wäre, würde ich es Ihnen sagen.»
    Mrs. Cartwright wandte den Kopf, um ihre Nachbarin näher zu betrachten. Ihr erster
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