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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur
Autoren: Lisa Gardner
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gleichzeitig ausspucken. Zwei Geschichten, ein Lied und eine halbe Folge Veggie Tales später stecke ich sie schließlich ins Bett. Sie schlingt ihre Arme um Lil’ Bunny, und Mr   Smith rollt sich neben ihren Füßen ein.
    Halb neun. Unser kleines Haus gehört jetzt mir. Ich setze mich an den Küchentresen. Trinke Tee, korrigiere Klassenarbeiten, kehre dem Computer den Rücken, damit ich nicht in Versuchung gerate. Die Katzenuhr – ein Weihnachtsgeschenk von Jason an Ree – miaut zur vollen Stunde. Der Laut hallt durchs Haus und lässt es leerer wirken, als es in Wirklichkeit ist.
    Ich habe kalte Füße. Es ist März und tagsüber noch kalt. Ich sollte Socken anziehen, bin aber zu faul aufzustehen.
    Viertel nach neun. Ich mache meine Runde, verriegele die Hintertür und vergewissere mich, dass alle Fenster geschlossen sind. Als Letztes überprüfe ich die beiden Sicherheitsschlösser der stählernen Eingangstür. Wir leben in South Boston, in einer bescheidenen Siedlung, bewohnt von Vertretern der Mittelschicht, mit von Bäumen gesäumten Straßen und familienfreundlichen Parkanlagen. Jede Menge Kinder, jede Menge weißlackierte Gartenzäune.
    Türen und Fenster sind einbruchsicher verstärkt. Wir, Jason und ich, haben unsere Gründe.
    Schließlich stehe ich dann doch vor dem Computer. Ich sage mir, es ist Zeit, ins Bett zu gehen. Nur ja nicht an das Ding setzen. Aber ich werde es wohl doch tun. Eine Minute nur. Nachsehen, ob ich neue E-Mails habe. Warum auch nicht?
    Im letzten Moment bringe ich ein Maß an Willenskraft auf, von dem ich gar nichts geahnt hatte, und schalte den Computer aus. Auch das gehört zu unseren Hausregeln: Vor dem Zubettgehen muss der Computer ausgeschaltet werden.
    Wissen Sie: Ein Computer ist ein Portal, durch das man in Ihr Haus gelangen kann. Selbst wenn Sie das noch nicht wussten, werden Sie es irgendwann noch merken.
    Zehn Uhr. Ich lasse in der Küche das Licht für Jason an. Er hat nicht angerufen, scheint also viel zu tun zu haben. Ist wohl in Ordnung so, sage ich mir. Er muss halt viel arbeiten. Für uns bleibt immer weniger Zeit. Kommt in den besten Familien vor, vor allem in denen mit kleineren Kindern.
    Ich denke an unseren Urlaub zurück, den wir im Februar hatten, die kleine Auszeit, die je nach Standpunkt des Betrachters entweder das Beste oder das Schlechteste war, was uns passieren konnte. Ich will verstehen. Mir ein Bild machen von meinem Mann, von mir selbst. Es gibt Dinge, die, wenn einmal geschehen, nicht rückgängig zu machen sind, Worte, die, sobald sie ausgesprochen wurden, nicht zurückgenommen werden können.
    Von alldem, was ich in den letzten Wochen verbockt
habe, kann ich leider nichts wiedergutmachen, auch wenn ich es noch so sehr versuche, und das bedrückt mich mehr und mehr. Früher einmal habe ich tatsächlich noch geglaubt, Liebe allein könnte über all das hinwegtäuschen. Jetzt weiß ich es besser.
    Ich gehe die Treppe hinauf und will ein letztes Mal nach Ree sehen. Vorsichtig stecke ich den Kopf zur Tür hinein. Mr   Smiths goldene Augen leuchten mir entgegen. Er bleibt liegen, und ich kann’s ihm nicht verdenken. Es ist eine herzige Szene: Ree unter einer pink und grün geblümten Bettdecke zur Kugel zusammengerollt, den Daumen im Mund und mit Zotteln dunkler Locken, die unter der Decke hervorquellen. Sie sieht klein aus, wie das Baby, das ich – ich könnte es schwören – erst gestern bekommen habe. Inzwischen aber sind irgendwie schon vier Jahre vergangen, sie zieht sich selbst an, kann alleine essen und erklärt uns all ihre Ansichten über das Leben.
    Ich glaube, ich liebe sie.
    Ich glaube,
Liebe
ist kein adäquater Begriff für das, was ich in mir fühle.
    Leise schließe ich die Tür, schleiche in mein Schlafzimmer und schlüpfe unter die blau-grüne Steppdecke – ein Hochzeitsgeschenk.
    Die Tür steht einen Spaltbreit offen für den Fall, dass Ree unruhig wird. Für Jason habe ich das Licht im Flur angelassen.
    Das Abendritual ist abgeschlossen, alles ist so, wie es sein soll.
    Ich lege mich, das Kissen zwischen den Knien und die Hände unterm Ohr, auf die Seite, starre auf alles und
nichts und glaube, müde zu sein. Mir geht all das durch den Kopf, was schiefgelaufen ist, ich wünschte, Jason wäre hier, bin aber gleichzeitig dankbar, dass er es nicht ist. Ich muss mir etwas einfallen lassen – bin aber ratlos.
    Ich liebe mein Kind. Ich liebe meinen Mann.
    Ich bin ein Idiot.
    Und ich erinnere mich an etwas, an das ich seit Monaten
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