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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur
Autoren: Lisa Gardner
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Miller. Bin gleich zur Stelle.»
     
    D.   D. ließ die Laufschuhe im Wohnzimmer zurück, die Turnhose im Flur und das Sporthemd im Schlafzimmer. Jeans, ein weißes, vorn zugeknöpftes Top, ein Paar Lederstiefel, und sie war fertig für draußen. Sie klippte den Pager an den Gürtel, hängte sich ihre Ausweise um den Hals und steckte das Handy in die Gesäßtasche.
    Eine letzte kurze Pause vor der Garderobe, wo sie ihre Lieblingsjacke aus karamellfarbenem Leder vom Bügel nahm.
    Und schon war Sergeant Warren unterwegs zur Arbeit, die sie liebte.
     
    South Boston hat selbst für Bostoner Maßstäbe eine lange, bunte Geschichte. Mit dem Bankenviertel auf der einen und dem blauen Meer auf der anderen Seite ist dieser Stadtteil so was wie ein malerisches Fischernest mit allen Annehmlichkeiten großstädtischen Lebens. Ursprünglich stammten die Anwohner eher vom unteren Ende der gesellschaftlichen Skala. Einwanderer, hauptsächlich aus Irland, hausten in verlausten Mietskasernen – bis zu dreißig Personen in einem Raum   –, schliefen auf Stroh und teilten sich einen Eimer als Latrine. Das Leben war hart, von Krankheit und Seuchen geplagt, und die Armut war jedermanns ständiger Begleiter.
    Schnellvorlauf um hundertfünfzig Jahre: «Southie» war nunmehr weniger Wohngegend als ein
Way of Life
. Der brachte Whitey Bulger hervor, einen der berüchtigtsten Gangsterbosse Bostons, der während der Siebziger in der sozialen Randlage seine persönliche Spielwiese gefunden hatte, die eine Hälfte der Anwohnerschaft an die Nadel brachte und die andere in seinen Dienst stellte. Mit dem Viertel ging es aber dennoch weiter, Nachbarn kümmerten sich umeinander, und aus jeder Generation taffer Überlebenskünstler gingen neue taffe Überlebenskünstler hervor. Außenseiter blickten da nicht durch, aber das war den Southies nur recht so.
    Unglücklicherweise ging dieser Stadtteilcharakter verloren. Als eines Jahres ein Großereignis am Hafen stattfand, kamen Heerscharen von Yuppies in die vergessene Gegend aus ärmlichen Wohnblocks und pockennarbigen Straßen und entdeckten das Meerpanorama, die vielen Grünflächen und guten katholischen Schulen. Zehn Minuten von der Stadtmitte Bostons entfernt gab es hier eine Gegend, in der sich samstags morgens eigentlich nur eine Frage stellte: ob man nach rechts in den Park oder nach links zum Strand gehen sollte.
    Unnötig zu erwähnen, dass diese Leute bald ihre Immobilienmakler fanden, und ehe man sich’s versah, entstanden millionenteure Eigentumsapartments am Wasser, während die alten dreistöckigen Wohnhäuser Preise erzielten, die einen schwindelig machten.
    Die Gemeinde in South Boston veränderte sich grundlegend – sowohl was die ökonomischen Verhältnisse betraf, als auch die ethnische Zusammensetzung. Gleichblieben die großen Parks und baumgesäumten Straßen. Zu den irischen Pubs kamen schicke Cafés hinzu. Und zu den kinderreichen Familien mischten sich aufstrebende Singles. Ein angenehmes Wohnviertel, wenn man sich denn hier früh genug eingekauft hatte.
    D.   D. ließ sich von ihrem GPS zu der Adresse lotsen, die ihr Detective Miller genannt hatte, und stand schließlich in Ufernähe vor einem hübschen kleinen Haus, braun und cremefarben gestrichen, mit einem winzigen Rasen davor und überragt von einem noch kahlen Ahornbaum. Zwei Gedanken drängten sich ihr gleichzeitig auf.
Ein Landhaus in Boston?
Und:
Tüchtig, dieser Detective Miller!
Seit der Meldung waren fünfeinhalb Stunden vergangen, aber nichts deutete hier auf ein Verbrechen hin, keine gelben Bänder, die den Tatort abgrenzten, keine Streifenwagen und, besser noch: keine Presse. Haus und Straße lagen ruhig da. Die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm.
    D.   D. fuhr dreimal um den Block, bevor sie schließlich ein paar Straßen weiter unten parkte. Wie Miller wollte auch sie Aufsehen vermeiden.
    Die Fäuste in den Taschen und mit eingezogenen Schultern, um sich vor der Kälte zu schützen, ging sie zu Fuß zurück und sah den Kollegen im Vorgarten auf sie warten. Er war kleiner als erwartet, hatte schütteres braunes Haar und einen Siebziger-Jahre-Schnauzbart. Seinem Erscheinungsbild nach war er bestens geeignet, verdeckt zu ermitteln, ganz unauffällig. Niemand würde ihn zur Kenntnis nehmen, geschweige denn bemerken, dass er herumschnüffelte. Außerdem hatte er die bleiche Hautfarbe eines Mannes, der die meiste Zeit unter Neonleuchtenzubrachte. Ein typischer Bürohengst, dachte D.   D., musste aber
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