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Ohne Ende Leben - Roman

Ohne Ende Leben - Roman

Titel: Ohne Ende Leben - Roman
Autoren: Libba Bray
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mit einer gefiederten Maske, wie er in der Bourbon Street auf den Putz haut.Rechter Hand drunter in der Ecke sieht man das Foto eines alten Mannes mit Anzug, Hut und schwarzen Sonnenbrillengläsern. Er hält eine Trompete in seinen wettergegerbten Händen.
    »Wer ist dieser Typ?«
    »Junior Webster. Der beste Jazztrompeter in New Orleans.« Eubie saugt Luft ein und schüttelt dabei seine Hand, als ob er sich verbrannt hätte.
    »Dieser Streuner ist
draußen
, sag ich dir. Wenn du jemals nach NOLA kommst – und das solltest du   –, schau dir den Club an, in dem er gespielt hat, das
Golden Trumpet
.
    »Er spielt dort nicht mehr?«
    »Geht schlecht, wenn du tot bist. Hier, hör dir das mal an.«
    Eubie zieht eine LP hervor. Die Hülle ist so alt und abgegriffen, dass sich die Umrisse der Platte auf dem Pappcover abzeichnen. Es zeigt Junior Webster, wie er vor einem Gemälde der Milchstraße steht. Im Zentrum des Sternenhimmels sieht man ein schwarzes Loch.
    »Hmm«, sage ich.
    »Hmm«, spöttelt Eubie. »In einer Minute wirst du nicht mehr ›hmm‹ sagen, mein Sohn. Ich werd dir was beibringen.«
    Eubie zieht die Platte liebevoll aus der Hülle und legt sie auf den Plattenteller. »Wenn du einen Hut aufhättest, würde ich dich jetzt bitten, ihn abzunehmen. Du hörst nun was, das ist wie’n Gottesdienst.«
    Er legt den Tonarm auf. Eine schwermütige Trompete ertönt, hoch und schrill, wie die Klagelaute einer Frau bei einer Beerdigung; dann prallt das Ganze auf einen wilden Jazzrhythmus, der Eubie   – Augen zu, Kopf nach vorn gebeugt – ein paar imaginäre Becken schlagen lässt, wie esder Drummer macht, der er, wie ich weiß, an den Wochenenden ist.
    Ich kapiere den Jazz nicht. Er hört sich für mich immer so an wie ein Haufen entfesselter Kleinkinder in einem Musikzimmer. Trotzdem versuche ich, höflich zu sein. Als das Stück endet, schwenkt Eubie den Tonarm zur Seite und wartet auf meine Reaktion.
    »Ganz schön cool.«
    Eubie hebt eine Augenbraue. »Na klar isses cool. Ist das alles, was dir dazu einfällt?«
    »Wirklich cool«, sage ich, in der Hoffnung, dass das als Begeisterung durchgeht.
    »Cam-run«, sagt Eubie und schüttelt den Kopf so, dass seine Locken zu tanzen beginnen. »Du brauchst Hilfe, mein Freund, hörst du?«
    »Ja.«
    »Glaub mir, wenn ich noch ein Leben hätte, ich würd in New Orleans leben, mit Junior Webster Musik machen und mit meinen Tönen Löcher ins Universum schießen. Musik hat das Zeug dazu, die Welt zu retten.«
    Eubie reibt noch ein bisschen seinen Bart und fängt dann an zu schmunzeln.
    »Ich sag dir was: Ich leih dir dieses Album übers Wochenende. Du hörst’s dir ganz an und schaust mal, was dir dann dazu einfällt.«
    Meine Handflächen fangen an zu schwitzen. Ich will nicht, dass mir Eubie sein Lieblingsalbum anvertraut, besonders seit ich weiß, dass ich es mir nie anhören werde. Ich muss mir eine Entschuldigung einfallen lassen. Ich hebe meine Hände und trete einen Schritt zurück.
    »Ich möcht dein bestes Album nicht mitnehmen, Eubie   …«
    Eubie versucht es mir in die Hand zu drücken, wie einen Staffelstab bei einem Rennen, in dem er der einzige Läufer ist. »Nimm schon, das ist okay.«
    »Ich weiß nicht, Eubie. Is ne große Verantwortung.«
    »Nö, Mann. Alimente zahlen, das ist ne große Verantwortung. Das ist nur ne Schallplatte.«
    Ich schüttele den Kopf. »Was ist, wenn sie kaputtgeht?«
    »Dann kill ich dich.« Er winkt ab. »Aber sie wird nicht zerbrechen. Du wirst sie wie ein Baby behandeln.«
    Ich kenne Eubie. Er ist pingelig, was seine LPs betrifft. Dass er mir eine leihen will, ist ein großer Vertrauensbeweis. Aber mir geht es nicht gut dabei. Ich wünsch mir einfach, dass die Dinge so bleiben, wie sie sind. Keine Erwartungen gleich keine Enttäuschungen gleich keine Kränkungen. Alles bleibt cool.
    Ich stecke die Hände in die Tasche. »Weißt du, bin sehr beschäftigt in der Schule diese Woche, und dann mach ich noch ne Sonderschicht bei
Buddha Burger
und so, also   … du verstehst. Aber trotzdem vielen Dank.« Ich schenke ihm ein halbherziges Lächeln. »Also   … hast du jetzt diesen neuen
Tremolo
, den ich bestellt hab?«
    Eubie ist enttäuscht. Ich seh’s an der Art, wie er die Platte in die Hülle steckt und dabei seufzt, und ich fühle mich irgendwie beschissen. Ich bin es gewöhnt, jeden anderen zu enttäuschen, nicht aber Eubie.
    Er zieht ein Album aus einem Stapel auf dem Tisch. Das Cover zeigt ein perfektes Kitschfoto:
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